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"FRIEDRICH DÜRRENMATT - REBELLENFIGUREN"

"FRIEDRICH DÜRRENMATT - REBELLENFIGUREN"

07.08.2023 Ausstellung im Centre Dürrenmatt Neuchâtel (CDN), bis am 10. Dezember 2023


Bild oben: Friedrich Dürrenmatt, Letzter Angriff, 1987, Gouache auf Karton, 69.7 × 99.5 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel (CDN) präsentiert eine Ausstellung, die das Motiv der Rebellion im Werk von Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) erkundet.

In seinen Bildern und Schriften hat Dürrenmatt die unterschiedlichsten Rebellenfiguren entworfen, angefangen von scheiternden Helden über zornige Götter und Amazonen bis hin zum ungleichen Liebespaar. Der Schriftsteller und Maler gestaltet den Rebellierenden als einen Einzelnen, der gewaltlos und gegen alle Widerstände für eine menschenwürdige Welt eintritt. Doch protestieren seine Figuren nicht nur gegen die irdische und auch höhere Macht, ebenso lässt er Götter gegen die ihnen auferlegte Last rebellieren.

Nicht zuletzt wissen auch die Frauenfiguren in seinem Werk aufzubegehren. Sie rebellieren gegen die ihnen gesetzten Grenzen und stellen so die Frage, wie unsere gesellschaftlichen Rollenbilder überhaupt konzipiert sind. Als Denker hinterfragt Dürrenmatt kritisch die unterschiedlichsten Positionen. Darin zeigt sich eine Haltung, die ideologische Denkmuster ablehnt und für einen differenzierten Blick plädiert. Wie aktuell ist sie heute?

Unter Verwendung von Bildern, Zeichnungen, Fotos und Videos erkundet die Ausstellung, wie vielfältig Dürrenmatt das Motiv der Rebellion gestaltet und sie präsentiert diesen selbst als einen rebellischen und engagierten Künstler.

Kuratiert von Julia Röthinger

Im Rahmen der Ausstellung finden mehrere Veranstaltungen und Führungen statt (zum Teil auf Französisch oder zweisprachig). Die Ausstellung wird zudem von einem vielfältig illustrierten "Cahier des CDN" und von einer Staffel des Podcasts "Friedrich Dürrenmatt" begleitet.

Friedrich Dürrenmatt, Zorniger Atlas, 1978, Kugelschreiber auf Papier, 30 × 21 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Zorniger Atlas, 1978, Kugelschreiber auf Papier, 30 × 21 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Scheiternde Helden

Stellen wir uns einen Helden vor, so denken wir zumeist an einen antiken Heros, wie den griechischen Kämpfer Achill, oder an moderne Superhelden wie die Kriegerin Captain Marvel. Sie zeichnen sich aus durch Mut, Geschick und ihre rebellische Ader. Helden finden sich auch im Werk von Friedrich Dürrenmatt. Doch sind seine Helden keine strahlenden Sieger: es sind narbenversehrte Kreaturen, deren Körper nicht vom Glanz, sondern von der Grausamkeit des Kampfes erzählen.

1945 endet der Zweite Weltkrieg, doch die Nachwirkungen bleiben. Wie konnte es zu dieser globalen Katastrophe kommen, in deren Verlauf Millionen von Menschen den Tod fanden? Auch Dürrenmatt beschäftigte diese Frage und sie führte dazu, dass er Heldendarstellungen kritisch hinterfragte.

Doch wie lässt sich von Helden erzählen, wenn der selbstbewusste Krieger nicht mehr gezeigt werden kann? Dürrenmatt entwirft Szenen, in denen er die klassische Heldenfigur in ihr Gegenteil verkehrt und eben diese Frage stellt.

Friedrich Dürrenmatt, Ikarus, 1971, Collage auf Papier, 45 × 30 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Ikarus, 1971, Collage auf Papier, 45 × 30 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Gewaltloser Widerstand

Friedrich Dürrenmatt gestaltete seine Rebellen als AntiHelden: als Figuren, die gegen das herrschende System aufbegehren, jedoch nicht aktiv, sondern aus einem passiven Widerstand heraus. So zeichnet sich sein Kaiser Romulus durch Nichtstun aus: Weil im römischen Imperium Mord und Plünderung Alltag geworden sind, versucht Romulus es durch bewusstes Nichtregieren zugrunde gehen zu lassen.

In Figuren wie Romulus, dem Halbgott und Menschenfreund Prometheus oder Akki aus "Ein Engel kommt nach Babylon" sah Dürrenmatt eine humane Weltordnung vertreten in einer inhumanen Welt. Seine Rebellen sind Rebellen, weil sie gegen die Tendenz ihrer Zeit für die Menschenrechte und eine friedvolle Welt eintreten. Im realen Leben sah Dürrenmatt diese Haltung beispielsweise im Dissidenten, Menschenrechtler und späteren tschechischen Präsidenten Václav Havel verkörpert. Dieser symbolisierte für ihn eine Form des Widerstands, der gerade durch seine Gewaltlosigkeit zu erschüttern vermag.

Erzürnte Götter und Halbgötter

Als Pfarrerssohn setzte sich Friedrich Dürrenmatt zeit seines Lebens kritisch mit der Institution Kirche und ihrem Absolutheitsanspruch auseinander. Dem Glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, setzte er den Zweifel am eigenen Wissen gegenüber. In späten Jahren bekannte er sich gar zum Atheismus und begründete dies mit seinem Bekenntnis nicht für den Glauben, aber für den Menschen.

Doch wird in Dürrenmatts Universum nicht nur gegen eine höhere Macht protestiert, ebenso liess er Götter und Halbgötter gegen die ihnen auferlegte Last rebellieren. Was, wenn Gott zornig würde, und die Erdkugel weit von sich schleuderte? Oder der Titan Atlas keine Kraft mehr hätte, die Welt weiter auf seinen Schultern zu tragen?

Die Rebellion des Menschen gegen Gott und Himmel kann aber auch umschlagen in eine Hybris. Am Beispiel der mythologischen Figur des Ikarus und der historisch tradierten FaustFigur gestaltete Dürrenmatt diese Selbstüberhebung bildnerisch und literarisch.

Friedrich Dürrenmatt, Collage II, 1967, Collage und Tusche auf Papier, 31.8 × 23.7 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Collage II, 1967, Collage und Tusche auf Papier, 31.8 × 23.7 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Starke Frauen

Friedrich Dürrenmatts Frauenfiguren sind alles andere als schwach. Sie leiten umsatzstarke Unternehmen und renommierte Kliniken, sind führend tätig im Bankensystem und von unerschrockenem Wesen.

Kurzum: Es sind erfolgreiche Geschäftsfrauen, die die Spielregeln von Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten wissen. Alles andere als Heilige und auch keine klassischen Schönheiten, trotzen sie dem Klischee weiblicher Anmut und Tugendhaftigkeit.

Ungeachtet einer gewissen Ambivalenz sind sie vor allem eines: autonom. Entworfen in einer Zeit, als ihnen noch nicht die heutigen Rechte zustanden, kämpfen die Heldinnen im Werk Dürrenmatts für sich und ihr Anliegen – so wie Claire Zachanassian, die, ungewollt schwanger, von der Dorfgemeinschaft verstossen wurde und in späten Jahren heimkehrt und Gerechtigkeit fordert. Es sind Frauen, die gegen die ihnen gesetzten Grenzen rebellieren und somit die Frage danach stellen, wie unsere gesellschaft lichen Rollenbilder überhaupt konzipiert sind.

Liebe als Utopie

Die Kulturgeschichte ist voll von Paaren, die allen Widerständen zum Trotz an ihrer Liebe festhalten: Shakespeares Romeo und Julia, Rose DeWitt Bukater und Jack Dawson aus "Titanic" oder Ennis und Jack aus "Brokeback Mountain".

Auch bei Friedrich Dürrenmatt sind Liebende Rebellierende, doch nicht nur, weil sie mit ihrer Liebe gesellschaftliche Gegensätze überwinden, sondern weil bereits ihre Liebe an sich Bekenntnis ist für einen anderen Menschen. Dürrenmatt beschrieb die Liebe solcherart als eine realgewordene Utopie.

Seine Liebenden sind dabei in zweifachem Sinn Rebellierende: weil sie Liebe bringen in eine Welt, die oftmals brutal und grausam scheint, und weil sie ohne Rücksicht auf Hürden das schwierige Unterfangen namens Liebe überhaupt einzugehen und durchzustehen bereit sind – so wie der Ritter Don Quijote, der sich aufmacht, für seine Herzensdame Dulcinea Abenteuer zu bestehen, bedingungslos, da sie von diesem Vorhaben gar nichts weiss…

Friedrich Dürrenmatt, Don Quichotte, apokalyptischer Reiter der Liebe, 1986, Filzstift auf Papier, 28.5 × 20.5 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Don Quichotte, apokalyptischer Reiter der Liebe, 1986, Filzstift auf Papier, 28.5 × 20.5 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Kunst als Rebellion

Kunst bietet die Möglichkeit, Normen infrage zu stellen und Alternativen aufzuzeigen. Damit kann sie eine Form der Rebellion und des gewaltlosen Widerstands sein.

Als Friedrich Dürrenmatt 1969 der Berner Literaturpreis verliehen wurde, reichte er das Preisgeld an drei Nonkonformisten weiter und löste einen Eklat aus: An seiner Stelle ehrte er den Publizisten Paul Ignaz Vogel, Gründer der Zeitschrift "Neutralität", den Schriftsteller Sergius Golowin, der sich für die Fahrenden und Jenischen engagierte, und den Grossrat Arthur Villard, der sich für die Einrichtung eines Zivildienstes einsetzte und dafür mehrere Haftstrafen verbüssen musste.

Dürrenmatts kritischer Blick tritt aber auch in seinen Collagen zutage. Die Kunstform der Collage nimmt Bestehendes aus seinem Kontext und fügt die einzelnen Elemente zu etwas Neuem zusammen.

Positionen aus jedweder Richtung differenziert zu betrachten und zu hinterfragen, das hat der Künstler und Citoyen Dürrenmatt immer wieder getan.

cdn

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Friedrich Dürrenmatt, Salome bietet den Kopf Johannes des Täufers dar, um 1942/43, Wandmalerei in der Berner Mansarde, in der Dürrenmatt von 1942 bis 1946 lebte © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Salome bietet den Kopf Johannes des Täufers dar, um 1942/43, Wandmalerei in der Berner Mansarde, in der Dürrenmatt von 1942 bis 1946 lebte © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

 

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