GROSSER NACHHOLBEDARF BEI DER VEREINBARKEIT VON KUNSTBERUF UND FAMILIE

Mit der Studie "Kunstberuf und Familie – Erkenntnisse und Handlungsanleitungen zur Vergabepraxis von Atelierstipendien" fördert Visarte Schweiz zu Tage, dass die wenigsten privaten und öffentlichen Kulturförderinstitutionen die Bedürfnisse kunstschaffender Eltern berücksichtigen. Kunstschaffende werden ab der Familiengründung im Fördersystem nicht mehr adäquat berücksichtigt. Sie haben dadurch geringere Karrierechancen und laufen Gefahr, aus strukturellen Gründen ihren Kunstberuf aufgeben zu müssen.

Visarte Schweiz setzt sich dafür ein, dass die Zugänglichkeit für Kunstschaffende mit Kindern und Betreuungspflichten im Fördersystem erhöht wird. Die Studie analysiert die Situation nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ und bietet konkrete Handlungsempfehlungen sowohl für Förderinstitutionen als auch für Künstlerinnen und Künstler selbst. Sie lädt zum Dialog ein und will mit konkreten Anregungen eine Verbesserung der Praxis herbeiführen.

Grosses Interesse an Verbesserungen

Visarte Schweiz schrieb jene rund 130 öffentlichen und privaten Förderstellen, Stiftungen und Institutionen in der Schweiz an, die Kunstschaffenden Atelierstipendien, die Finanzierung von Auslandaufenthalten oder Reisestipendien gewähren.

Im Jahr 2022 zeigte sich die Hälfte der Befragten dem Bedürfnis nach Vereinbarkeit von Kunstberuf und Familie gegenüber offen. Bei Beginn der Studie, drei Jahre zuvor, waren es noch deutlich weniger. Viele der traditionellen Ateliers sind vor langer Zeit installiert worden und haben den gesellschaftlichen Strukturwandel nicht mitgemacht. Rund ein Drittel der Befragten möchte entsprechende Formate entwickeln, scheitert allerdings an strukturellen Hürden, so dass effektiv nur gerade sieben Prozent der Förderinstitutionen Programme anbieten können, die das Prädikat familienfreundlich verdienen.

Herausforderungen sind komplex

Familienfreundlichkeit setzt voraus, dass Kunstschaffende mit Familie nicht im traditionellen Sinn als Einzelgängerinnen und Einzelgänger gesehen werden, sondern als Teil eines systemischen Sozialgefüges, das eine Familie existentiell mit sich bringt. Ein Atelieraufenthalt auf Zeit ist eine grosse organisatorische Herausforderung für eine Familie. Wird der Bewältigung der zusätzlichen logistischen Aufgaben und Kosten keine Rechnung getragen, fallen Kunstschaffende mit Kindern aus dem Fördersystem. Atelierstipendien sind ein wichtiger Karriereausweis für das professionelle Kunstschaffen. Hindernisse dürfen nicht dazu führen, dass Kunstschaffende vor die Wahl gestellt werden: Karriere oder Familie.

Förderinstitutionen stehen in der Verantwortung

Auch wenn den Förderinstitutionen aus verschiedenen Gründen die Hände gebunden sind, so besteht ein grosser Handlungsspielraum für Verbesserungen. Die Erfahrung beim Aufbau familienfreundlicher Residenzen zeigt, dass tendenziell zu problemorientiert, also zu stark auf Hindernisse und zu wenig auf Chancen und unkonventionelle Lösungen fokussiert wird.

Damit Kunstschaffende mit Betreuungspflichten nicht vom Fördersystem ausgeschlossen werden, braucht es einen Effort aller Beteiligten: bei den Förderinstitutionen genauso wie bei den Kunstschaffenden, bei den Berufsverbänden genauso wie in der Politik. Wenn es gelingt, den in den vergangenen drei Jahren aufgekommenen Schwung zu nutzen, kann die Situation nachhaltig verbessert werden. Die Chancen stehen gut.

vs