DER SCHWEIZER MUSIKER, MUSIKPÄDAGOGE, RADIOMANN, KULTURPOLITIKER, SCHRIFTSTELLER UND PUBLIZIST URS FRAUCHIGER IST GESTORBEN
03.10.2023 Der am 17. September 1936 in Mungnau im Emmental geborene Schweizer Cellist, Musiktheoretiker, Musikpädagoge, Radiomann, Kulturpolitiker, -förderer und -vermittler, Schriftsteller und Publizist Urs Frauchiger (Bild) ist am 27. September 2023 gestorben. "Nach einer jahrzehntelangen musikpädagogischen Tätigkeit äusserte er teilweise sehr kritische, gegen die herrschenden Verhältnisse gerichtete Ansichten zu ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen und setzte sich für eine Änderung der Musikerziehung ein." (*) Urs Frauchiger begann im Jahr 1970 seine Tätigkeiten für Radio DRS als Dienstchef Musik und wurde 1976 Studioleiter in Bern. 1977 wurde er zum Direktor von Konservatorium und Musikhochschule Bern gewählt. Von 1992 bis 1997 leitete Frauchiger die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Er war Generalsekretär der europäischen Musikhochschulen und Honorarprofessor der Universität Bern. Grosse Beachtung fanden Frauchigers Schriften, Kolumnen, Essays, Portaits, Aufsätze, Vorlesungen, Erzählungen und Aphorismen. Er erhielt mehrmals den Buchpreis der Stadt Bern und 1997 den Paul-Haupt-Preis.
Bild oben: Urs Frauchiger - Foto: © Bernhard Fuchs
Bild: Urs Frauchiger - Foto: © Kaspar Ruoff / https://elfundzehnverlag.lesestoff.ch/de/autoren/authorDetail/Urs-Frauchiger/Frauchiger-Urs
Warum singen alle Sänger immer etwas lauter als sie können? Nur meine Mutter, wenn sie mich als Kind in den Schlaf sang, konnte es.
Urs Frauchiger, 24.09.2023
Wofür lebt man?
Um die Pizzicati des zweiten Cellos im zweiten Satz des C-Dur Streichquintetts von Schubert spielen zu dürfen.
Urs Frauchiger, 22.09.2023
Warum wollen sie alle uns unterhalten?
Langweilen können wir uns selber.
Urs Frauchiger, 10.09.2023
Urs Frauchiger hat mit seinen musikpädagogischen Publikationen (u. a. "Was zum Teufel ist mit der Musik los?") sowie seinen warmherzigen Erzählungen und gescheiten Essays hunderttausende von Lesern in der Schweiz und in Deutschland erreicht. Seine Radiobeiträge und zeitkritischen Diskussionstexte haben ihn als Denker und Debatter und als ebenso engagierten wie fröhlich in die Zukunft blickenden Zeitgenossen bekannt gemacht.
https://elfundzehnverlag.lesestoff.ch/de/autoren/authorDetail/Urs-Frauchiger/Frauchiger-Urs
(abgerufen am 03.10.2023)
Mit seinen über 500 Radiosendungen "Top Class Classics" und mit der Fernsehsendung "Concerto grosso" wurde Frauchiger bei einem breiten Publikum bekannt. Es gelang ihm, Schwellenängste gegenüber sogenannt elitärer Kultur abzubauen und auch Leute zu begeistern, denen der Zugang zur klassischen Musik nicht leicht fällt. Kultur, so Frauchigers Überzeugung, soll alltäglich und selbstverständlich sein. Ein kreativer Fussballspieler wie Pelé sei für ihn ein grösserer Künstler als mancher Maler, der seine Leinwand nicht zu bespielen wisse. In seinem (…) Essayband "ihr Völker hört!" hat Frauchiger sieben Lebensthemen noch einmal aufgenommen, etwa den Protest gegen Reizüberflutung und Zwangsbeschallung und die Forderung nach Wiedererlangung der Fähigkeit, zuzuhören.
iw/sda, 2011
https://www.tagblatt.ch/kultur/kopf-des-tages-500mal-top-class-classics-ld.163700
(abgerufen am 03.10.2023)
Frauchiger steht pessimistisch der modernen Musik und unserer Fähigkeit zu hören, die sich verschlechtert habe, gegenüber. Er erinnert beispielsweise an eine Zeitungsmeldung, in der stand, dass in Schweden ein U-Boot in einem Einsatz nur metallischen Müll auf dem Meeresgrund beschossen habe, weil die Besatzung die Wasserschallgeräte nicht mehr hören konnte und es schwer sei, heute noch Rekruten zu finden, deren Gehör gut funktioniere. Frauchiger hat keine militärischen Anliegen, sondern nimmt diese Zeitungsmeldung nur als Beweis. Er bemerkt, erst wenn die Wehrfähigkeit darunter leide, werde wegen des kaputten Gehörs Alarm geschlagen.
Frauchiger geht diesen Entwicklungen auf den Grund und unterscheidet zwischen dem rein physischen Hören-Können und dem Zu-Hören-Wissen. Er behauptet, es gebe Menschen, die zwar beim Arzt jeden Hörtest mit Glanz beständen, jedoch trotzdem nicht gut hörten. Weiter seien die Jugendlichen nicht wegen der Discomusik hörgeschädigt, sondern sie hörten Discomusik, weil ihnen das Hören nicht gelehrt wurde. Mit ihren "Ghettos" der stickigen Discomusik grenzten sie sich nur gegen den Lärm der anderen ab. Wenn sie es schon nicht ruhig haben könnten, wollten sie wenigstens ihren eigenen Lärm hören, um sich mit dem einen Lärm gegen den anderen abzugrenzen.
Frauchiger zitiert eine Prophezeiung von Arthur Honegger, dass die Menschen einmal nicht mehr fähig sein würden, halbe von ganzen Tönen zu unterscheiden. Er sieht ganz allgemein einen Verlust des Hörens und Empfangens, stattdessen sendeten die Menschen immer mehr. Er geht noch weiter und glaubt, das Hörenwollen hänge damit zusammen, ob man je Töne der Liebe gehört habe. Wer solche gehört habe, werde auch künftig danach hören wollen.
https://www.literapedia-bern.ch/Frauchiger,_Urs
(abgerufen am 03.10.2023)
Bild: Urs Frauchiger, 1995 - © SRF, https://www.srf.ch/play/tv/next/video/gespraech-urs-frauchiger?urn=urn:srf:video:6b36e10c-a550-4518-8e1e-38ea6c417abd
Audios / Videos:
Befiehlt, wer zahlt?
Streitgespräch zwischen Andreas Blum, dem ehemaligen Programmdirektor Radio DRS und Urs Frauchiger, dem damaligen Direktor des Konservatoriums Bern, aus dem Jahr 1986. Eine Sendung von Walter Kläy, Erstausstrahlung vom 07.05.1986.
https://www.srf.ch/audio/musik-unserer-zeit/archivperle-befiehlt-wer-zahlt?id=11961872
"Mit Mozart reden" von Urs Frauchiger, Hörspiel, Radio SRF, 12.03.2016,
Unsterblich, unvergesslich - so ist die Musik Mozarts. Doch der Mensch dahinter war nicht weniger faszinierend - für die Nachwelt genauso wie für seine Zeitgenossen.
https://www.srf.ch/audio/hoerspiel/mit-mozart-reden-von-urs-frauchiger-1-2?id=10814871
https://www.srf.ch/audio/hoerspiel/mit-mozart-reden-von-urs-frauchiger-2-2?id=10814919
Talkshow mit Heiner Gautschy: zuhause bei Urs Frauchiger
"Unter uns gesagt …", Fernsehen DRS, 10.12.1982, 62 min.
Verheizte Menschen geben keine Wärme
"Schauplatz", Fernsehen DRS, 13.12.1985, 19 min
Gespräch mit Urs Frauchiger, Dir. der Pro Helvetia, über die Präsenz der Schweizer Kultur im Ausland nach dem EWR-Nein und Budgetstreichungen
"Kultur im Gespräch", Fernsehen DRS, 07.02.1993, 6 min
Gespräch Urs Frauchiger
"neXt", Fernsehen DRS, 12.03.1995, 8 min.
Baustelle Schweiz: Disput in Basel mit Martin Heller und Urs Frauchiger
"Sternstunde Kultur“, Fernsehen SRF, 20.05.2001, 56 min
Mehr:
https://www.viceversaliteratur.ch/author/11661
https://lexikon.a-d-s.ch/Person/19163
https://www.literapedia-bern.ch/Frauchiger,_Urs
https://www.zytglogge.ch/autor/urs-frauchiger/
https://swisscollections.ch/Search/Results?lookfor=%22Frauchiger%2C+Urs%22&type=Author
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=120942461
https://seniorweb.ch/2018/06/11/ueber-altern-und-sterben/
https://www.bernerzeitung.ch/das-alter-kann-eine-befreiung-sein-776496903037
https://www.derbund.ch/es-gibt-keinen-tod-zum-nulltarif-960937514211
https://www.bernerzeitung.ch/er-plaudert-verfuehrerisch-838302561679
https://www.derbund.ch/zwei-spurensucher-im-lyrischen-geheimnis-132242408982
https://www.tagblatt.ch/kultur/kopf-des-tages-500mal-top-class-classics-ld.163700
https://www.nzz.ch/articleEH68X-ld.376440?reduced=true
(*) https://de.wikipedia.org/wiki/Urs_Frauchiger
#UrsFrauchiger #CHcultura @CHculturaCH ∆cultura cultura+
Bild: LP "Urs Frauchiger - Die Entführung aus dem Detail: Live im 'Teufel'", © Zytglogge Verlag, ZYT 51, 1985
Auf ch-cultura.ch u.a. erschienen:
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Nachträge vom 04.10.2023:
https://www.todesanzeigenportal.ch/todesanzeige/Urs/Frauchiger/
Musikwissenschaftler und Kulturkritiker Urs Frauchiger verstorben
In Interviews und Essays verteidigte Frauchiger stets Kultur und Kulturschaffende gegen eine seiner Ansicht nach sparwütige Politik ebenso wie gegen die dünkelhafte Kulturschickeria.
Keystone-SDA
Frauchiger war ein unbeugsamer Verfechter von Kultur und Kulturschaffenden – und Anstifter zur kulturellen Rauflust
Natur, Literatur und vor allem Musik waren seine Themen: Über Mozarts Zauberflöte konnte Urs Frauchiger genauso philosophieren wie über das Wandern in der Toskana auf den Spuren von Pinocchio oder über den unvergleichlichen Ton des Cellisten Pablo Casals.
Sehr leichtfüssig kam das meist daher, was Urs Frauchigers Systemkritik auf eine ganz besondere, geradezu charmante Art gefärbt und imprägniert hat. Denn er hatte einiges zu kritisieren und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. Dass er auch anders konnte, deutete sich schon bei seinen Buchtiteln an: "Was zum Teufel ist mit der Musik los?" oder "Entwurf Schweiz. Anstiftung zur kulturellen Rauflust".
hauf/minj/sda
Charmant und streitbar: Ein Nachruf auf Urs Frauchiger
Er war unter anderem Kulturkritiker und langjähriger Chef der Pro Helvetia: Urs Frauchiger. Wie wir gestern von seiner Familie erfahren haben, ist Urs Frauchiger letzte Woche gestorben, kurz nach seinem 87. Geburtstag.
SRF
Achtsam sein für alles, was geschieht
2017 gab Urs Frauchiger der "Schweizer Musikzeitung" ein Interview zum Thema "sensibilisieren: "Die Offenheit gegenüber den Erscheinungen wecken". Darin berichtete er, er sei durch seine singende Mutter und im Wald für das Hören sensibilisiert worden. Achtsam sein für alles, was geschieht, und differenzieren können sah er als Grundlage, aber auch als Ziel des Musiklernens und Musikmachens.
Ein Ausschnitt:
Als ich als Drittklässler zum ersten Mal ins Konsi kam, nicht zum Unterricht, ich sollte nur Zeichnungen (…) abgeben, war das übrigens auch ein Urerlebnis für mich: dieses Haus voller Musik; dass es so viele Leute gab, die ein Instrument spielten! Im Emmental war ich weit und breit der einzige mit meinem Cello. Ich musste zwei Kilometer laufen bis zur Lehrerin, und wenn ich bei Bauern vorbeikam, sagten die immer: "Wo willst du hin mit deiner Bassgeige?" – "Das ist keine Bassgeige, das ist ein Cello." – "Wie lange musst du üben, bist du es kannst?" – "Casals übt jeden Tag acht Stunden und der ist jetzt schon 75!" Die dachten bestimmt: Der Bub spinnt ein bisschen.
PM/SMZ/wb
https://www.musikzeitung.ch/news/2023/10/tod-des-berner-musikautoren-urs-frauchiger
Fussspuren im Sand
Der durchaus auch sendungsbewusste Frauchiger bezeichnete sich selbst als Agnostiker, an eine personale Unsterblichkeit glaubte er nicht. Zu oft habe er am Meer in Portugal – seinem langjährigen zweiten Wohnsitz, wo seine Frau an einer Universität unterrichtete – erlebt, wie die Brandung seine Fussspuren im Sand gelöscht und sich vor ihm die Weite des Horizonts geöffnet habe.
Alexander Sury
Nachträge vom 05.10.2023
Die Stiftung Pro Helvetia dankt ihrem früheren Direktor für sein Engagement und den unermüdlichen Einsatz für das freie Kulturschaffen.
Philippe Bischof
Décès d'un ancien directeur de Pro Helvetia, Urs Frauchiger
Le musicien et auteur bernois Urs Frauchiger, ancien directeur de Pro Helvetia, est décédé le 27 septembre à l'âge de 87 ans, annonce mercredi sa famille. Celui qui a également enseigné le violoncelle au Conservatoire de Bienne a connu un parcours riche et éclectique.
ATS
https://www.lqj.ch/articles/deces-d-un-ancien-directeur-de-pro-helvetia-urs-frauchiger-61811
Morto Urs Frauchiger, ex direttore di Pro Helvetia
Frauchiger ha diretto Pro Helvetia dal 1991 al 1997, dopo essere stato per otto anni membro del consiglio di fondazione. Aveva lasciato il suo incarico di direttore dell'organizzazione deplorando che questa "inghiottiva troppi soldi nella sua amministrazione e non faceva muovere abbastanza le cose“.
Keystone-ATS
Nachträge vom 11.10.2023
https://www.hommages.ch/fr/avis-de-deces/urs-frauchiger-1
https://www.hommages.ch/de/traueranzeige/urs-frauchiger-2
Bild: Urs Frauchiger - Foto: © Edouard Rieben, http://www.edouardrieben.ch/ (Bild zur Vergrösserung anklicken)