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Uraufführung von „Alice im Ungerland“

Uraufführung von „Alice im Ungerland“

17.09.2010 Theater Schlachthaus Bern, 22. September (Premiere) bis 26. September 2010: Matto Kämpf / Pedro Lenz / Raphael Urweider mit "Alice im Ungerland", Uraufführungs-Produktion. Die Abenteuer einer jungen Alice in der Berner Unterwelt. Erzählt ('Through the Beer Glass') vom berühmten Autorentrio. Auf Mundart.


Projektbeschrieb

Das zehnjährige, viktorianische Schulmädchen Alice, das eines Tages in einem Kaninchenloch verschwindet, ist eine der bekanntesten Figuren der Weltliteratur. ‚Alice im Wunderland' von Lewis Carroll ist eine seltsame Geschichte für Kinder und Erwachsene, konkret und abstrakt zugleich. 

Den späteren Erfolg des Buches erahnte bereits 1865 ein Journalist, der in einer der ersten Besprechungen schrieb:

„This pretty and funny book ought to become a great favourite with children. It has the advantage, that it has no moral, and that it does not teach anything."  (Sunderland Herald).

‚Alice im Wunderland' stand völlig quer zu den damals propagierten Erziehungsmethoden des viktorianischen Zeitalters. Zum Erfolg des Buches haben auch die bis heute bekannten und stets wieder verwendeten Bilder der Erstausgabe von John Tenniel beigetragen, einem Karikaturisten des britischen Satire-Magazins ‚Punch'.

Obwohl ‚Alice im Wunderland' eine Geschichte für Kinder ist, voller Humor und Spielerei, ist sie dennoch keineswegs harmlos und unbeschwert. Die Rätselhaftigkeit der neuen Welt macht Alice zu schaffen. Ihr Wunderland ist kein Paradies und kein Schlaraffenland. Sie gerät in den See ihrer eigenen Tränen und schwimmt darin um ihr Leben. Eine Königin geht um und droht, allen den Kopf abzuhacken. Viele der Wesen fühlen sich bedroht und leben in ständiger Angst, so auch das weisse Kaninchen, dem Alice anfangs in den Bau folgt.

Andere Figuren wiederum sehen Alice als Feindin oder sprechen ihr das Existenzrecht schlichtweg ab.

Carroll hat einen ausgeprägten Sinn für Humor und Schabernack, er ‘warnt' seine LeserInnen in der Vorrede: There will be nonsense in it. Die Anlage als fantastischer Traum oder Alptraum, die sprunghafte Handlung, die kuriosen Figuren (z.B. die psychedelische Raupe, die auf einem Pilz sitzt und Wasserpfeife raucht) und die vielen Sprachspielereien machen dieses Büchlein zu einem riesigen Feld für Assoziationen und Interpretationen, die über den Deutungsspielraum eines gewöhnlichen Kinderbuchs hinausgehen und in Gebiete wie die Psychoanalyse, Traumdeutung und Drogenerfahrung führen.

Unser Autoren-Quartett reizt es, den literarischen Steilpass von Carroll aufzunehmen und eine eigene Version zu versuchen.

In unserer Version übersetzen wir die Geschichte auf Schweizerdeutsch und übertragen sie in ein bestimmtes Milieu. Wir planen keine freie Interpretation des Stoffes, sondern versuchen Satz für Satz in die neue Umgebung und auf die neuen Figuren zu übertragen: Und zwar in eine Kneipe wie beispielsweise das ‚Casa Marcello' in der Aarbergergasse oder früher die ‚Traube' an der Ecke Aarbergergasse-Genfergasse. Also in ein Restaurant, dessen Gäste oft wie folgt beschrieben werden: Drogenabhänge, Alkoholiker, IV-Bezüger, Dealer, Prostituierte, Zuchthäusler, Randständige, Obdachlose, Asoziale, Rocker usw.

Das ‚Casa Marcello' ist vermutlich dasjenige Lokal in Bern mit der höchsten Quote an Stammgästen, was auch bedeutet, dass die Leute mehr oder weniger dort wohnen. Auf der Homepage steht: "Das einzige Restaurant in Bern, in dem man selbst mitgebrachtes Essen konsumieren darf." (http://www.casa-marcello.ch)

Wir Autoren haben festgestellt, dass wir alle, nicht gemeinsam, mit Restaurants wie dem‚Casa Marcello' Erfahrungen gemacht haben, die denjenigen von Alice ähnlich sind: Die Konfrontation mit einer unbekannten Welt, bei der nicht auf Anhieb klar ist, ob sie einem freundlich oder feindlich gesinnt ist. Wir gingen mit cirka 16 in solche Lokale und wurden von der Umgebung nicht mehr wie Kinder behandelt. Wir wurden nicht mehr geschont, die Gäste und Gesprächspartner haben sich nicht mehr in uns hineinversetzt, sondern lebten in ihrer eigenen Welt und ihrer eigenen Logik und konnten und wollten sich nicht auf uns einlassen. Unsere Welt interessierte sie nicht. Wir waren jetzt in ihrer und hatten uns anzupassen.

Das bisherige Umfeld hatte sich immer bemüht, uns zu verstehen und altersgerecht zu behandeln, indem es Schutzräume schaffte wie Kinderzimmer, Schulen, Sportvereine etc. Hier nun wurde man unversehens angeschrien, angelogen und angepumpt.

Lebensgeschichten und Wutausbrüche prasselten auf uns nieder, alles wurde persönlich genommen und wir wurden genau gemustert und beobachtet. Wie die kleine Alice waren wir nicht durch Not in diesen Kaninchenbau gelangt, sondern durch Neugier. Wie im Wunderland lauerten überall unbekannte Tücken und Fallen. Hehlerware wurde herumgeboten und an den Tischen wurden dubiose Import-Export-Geschäfte verhandelt. Wir wurden aufgefordert, Runden zu spendieren und um Übernachtungsmöglichkeiten angegangen. Dealer versuchten, uns ihren Stoff zu verkaufen, Prostituierte zeigten ihre Brüste und formulierten eindeutigen Angebote, und auf der Toilette wurde von Schwulen Geld für bestimmte Praktiken offeriert. 

Und wir Buben sassen da und staunten. Was war das für eine Welt! Äusserst verwirrend und faszinierend, aber auch befremdend und abstossend. Der Pfarrersohn, der Zahnarztsohn und die beiden Direktorensöhne waren an einem fremden Ort angekommen. Wir waren plötzlich keine Kinder mehr, sondern Kunden und Abnehmer von allem möglichem, auch von Geschichten. 

In unserer Version ist Alice eine wohlbehütete Arzt-Tochter aus Muri, die in der Feusi das 10. Schuljahr besucht. Eines Mittags sitzt sie gelangweilt auf einer Bank auf der Grossen Schanze, als plötzlich eine seltsame Gestalt vorbeikommt: Hasenartig, gehetzt, mit geröteten Augen, aber mit schönem Anzug samt Weste und Taschenuhr. Er stellt sich vor als ‚Häsu' (White Rabbit), ist im Stress und sagt: „Shit, i chume z spät". Darauf rennt er davon und Alice läuft ihm interessiert hinterher. Sie stürzt sich das Treppenhaus im Parkhaus hinunter (Down the Rabbit Hole), kommt über die Brücke und das Bollwerk in die Aarbergergasse und sieht, wie Häsu im ‚Casa Marcello' verschwindet.

Umsetzung

Der Spielort ist eine Gaststube, reduziert gezeigt mit Tischen, Zigarettenautomat, Theke und dahinter liegender Küche. In der Mitte des Raumes steht der Stammtisch, den wir uns auf einer kleinen Drehbühne vorstellen. Er soll veranschaulichen, dass sich die Gespräche der Stammgäste im Kreis drehen und die Geschichten nicht zielgerichtet sind.

Was heute ist, morgen sein wird oder gestern war, ist dabei nicht entscheidend; auch die Zeit dreht sich gewissermassen im Kreis.

Die Figuren sind im Raum verteilt: Zusammen am Stammtisch oder allein an einem Tisch sitzend, im Service oder in der Küche am arbeiten. Die Band sitzt fest installiert samt Equipment an der Bar.

Die Musik ist ein wichtiges Element, noch wichtiger als bei den bisherigen Stücken. Sie wird erstmals nicht akustisch gespielt, sondern verstärkt. Die Band (Olifr Maurmann, Patrick Abt, Mago Flück und Simon Hari) entwickelt einen Soundtrack, der mit wenigen Unterbrüchen durchläuft.

Wir werden Tischmikrophone verwenden und den gesprochenen Text verstärkt über die Tonanlage abspielen. 

Der Text soll in den Sound eingebettet und dadurch nicht zu sehr ausgestellt sein.

Als optisches Element wird eine Künstlerin oder ein Künstler (noch nicht angefragt) die Bilder von John Tenniel variieren und bearbeiten. Als Vorbild dient die bildliche Untermalung von Konzerten von psychedelischen Bands. Bei diesen war es üblich, in einer Gratin-Form aus Glas Farben zusammen zu mischen und via einen Hellraumprojektor über die Band zu projizieren. Wenn in die flüssigen, fliessenden Farben mit einem Röhrchen geblasen wird, so ergibt dies ein blubberndes Bild wie in einem Film über Vorgänge im Körperinnern. In Aufruhr geratene Körpersubstanzen wären bei diesem Stück ein schönes assoziiertes Bild.

Die Künstlerin oder der Künstler wird während den Vorstellungen als Gast allein an einem Tisch sitzen und auf diese Weise mit den Bildern von Tenniel experimentieren. Das Resultat wird laufend auf eine weisse Fläche projiziert. Es ist auch eine Reminiszenz an die vielen tendenziell autistischen Gäste in diesen Lokalen, die stundenlang Tischsets und Bierdeckel bemalen.

Für den Raum und die Kostüme ist wiederum Franziska Geiser zuständig, für das Licht Michael Omlin.

Matto Kämpf / Pedro Lenz / Raphael Urweider

Kontakt:

http://www.schlachthaus.ch/sh/home.php

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