DER DEUTSCHE BUCHPREIS 2022 GEHT AN KIM DE L'HORIZON AUS DER SCHWEIZ - ERSTE REAKTIONEN
17.10.2022 Kim de l’Horizon hat mit dem Roman "Blutbuch" (DuMont) den mit 25'000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis 2022 gewonnen. In der Begründung der Jury heisst es: "Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman 'Blutbuch' nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht? Fixpunkt des Erzählens ist die eigene Grossmutter, die 'Grossmeer' im Berndeutschen, in deren Ozean das Kind Kim zu ertrinken drohte und aus dem es sich jetzt schreibend freischwimmt. Die Romanform ist dabei in steter Bewegung. Jeder Sprachversuch, von der plastischen Szene bis zum essayartigen Memoir, entfaltet eine Dringlichkeit und literarische Innovationskraft, von der sich die Jury provozieren und begeistern liess."
Bild oben: Kim de l’Horizon - Foto: © https://www.facebook.com/photo/?fbid=112087527088022&set=a.112087563754685
Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2022 gehören an: Jurysprecherin Miriam Zeh (Deutschlandfunk Kultur), Erich Klein (freier Kritiker, Wien), Frank Menden (stories! Die Buchhandlung, Hamburg), Uli Ormanns (Agnes Buchhandlung, Köln), Isabelle Vonlanthen (Literaturhaus Zürich), Selma Wels (Kuratorin und Moderatorin, Frankfurt) und Jan Wiele ("Frankfurter Allgemeine Zeitung").
"Mit dem Deutschen Buchpreis wollen wir die Aufmerksamkeit der Leser*innen auf die Vielschichtigkeit der deutschsprachigen Literatur lenken. Er ist auch in diesem Jahr wieder eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern, sich auch mit Literatur zu beschäftigen, die ausserhalb des eigenen Fokus liegt und die dafür umso mehr inspiriert. Bestenfalls holen wir uns damit gegenseitig aus unseren Filterblasen heraus, bewegen uns und andere zum Nach-, Um- und Weiterdenken", sagt Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Für die Auszeichnung waren ausserdem nominiert:
Fatma Aydemir: Dschinns (Carl Hanser, Februar 2022), Kristine Bilkau: Nebenan (Luchterhand, März 2022), Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter (Kiepenheuer & Witsch, August 2022), Jan Faktor: Trottel (Kiepenheuer & Witsch, September 2022), Eckhart Nickel: Spitzweg (Piper, April 2022).
Kim de l‘Horizon erhält ein Preisgeld von 25'000 Euro; die fünf FinalistInnen erhalten jeweils 2'500 Euro.
Der Gewinnertitel wurde in mehreren Auswahlstufen ermittelt. Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 233 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2021 und September 2022 erschienen sind. Aus diesen Romanen wurde eine 20 Titel umfassende Longlist zusammengestellt. Daraus hat die Jury sechs Titel für die Shortlist gewählt. Die Preisverleihung fand im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt.
Mit dem Deutschen Buchpreis 2022 zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Hauptförderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die "Deutsche Welle" unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland
Quelle:
Kontakt:
https://www.deutscher-buchpreis.de/
Videos:
Deutscher Buchpreis 2022 | Kim de l’Horizon erhält die Auszeichnung für den Roman "Blutbuch"
https://www.youtube.com/watch?v=YzFe_npPu8I
Portrait Kim de l'Horizon | Deutscher Buchpreis 2022
https://www.youtube.com/watch?v=dIAcpt7uARQ
Kim de lʼHorizon "Blutbuch" (Buchpremiere)
https://www.youtube.com/watch?v=ldL45MsAdes
Das Buch:
Kim de l’Horizon
BLUTBUCH
336 Seiten. Gebunden mit Lesebändchen
Erscheinungstag: 19.07.2022
ISBN 978-3-8321-8208-3
https://www.dumont-buchverlag.de/buch/l-horizon-blutbuch-9783832182083/
ERSTE MEDIENSTIMMEN
Bei der Preisverleihung auf der Bühne kam zuerst nur ein "Wow!" von Kim de l’Horizon
Eine Rede hatte man nicht vorbereitet. Dann folgte unter Tränen ein Dank an die Mutter und a cappella ein englischsprachiges Lied.
Schliesslich zückte Kim de l'Horizon einen Haarschneider und rasierte sich den Kopf – als Zeichen der Solidarität mit den Frauen im Iran. Die Jury habe den Text auch ausgewählt, "um ein Zeichen zu setzen gegen den Hass, für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden".
sda/dpa/baus;stup
Zur Symbolik von Gesten
Der Auftritt in Frankfurt (…) ergab Standing Ovations, oder vielleicht waren die auch für die Frauen im Iran. Jedenfalls liess diese Preisverleihung keine Wünsche offen, zumindest was die in den Reden zuvor gepriesene Vielfalt anging: Die Vielfalt der in den nominierten Romanen zur Sprache kommenden Erfahrungen, für die denn auch passende literarische Formen gefunden worden seien, wie die Jurysprecherin Miriam Zeh sagte, drückte sich unmittelbar in der Vielzahl der Symbole, Affekte und Gesten aus, die Kim de l'Horizon in Anschlag brachte. Zugleich wirkten sie maximal verständlich und zustimmen konnten wohl alle Anwesenden und Zuschauerinnen.
Marie Schmidt
https://www.derbund.ch/grosser-erfolg-fuer-kim-de-lhorizon-928898528763
Der Deutsche Buchpreis möchte die Aufmerksamkeit "auf die Vielschichtigkeit der deutschsprachigen Literatur lenken", sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Preisverleihung: "eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern. Bestenfalls holen wir uns damit gegenseitig aus unseren Filterblasen heraus, bewegen uns und andere zum Nach-, Um- und Weiterdenken".
(SDA/las)
https://www.blick.ch/news/deutschland-deutscher-buchpreis-fuer-kim-de-lhorizon-id17970800.html
Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wird seit 2005 verliehen. Für die aktuelle Ausgabe wurden laut Jury insgesamt 233 Titel gesichtet. Zuletzt ging er im vergangenen Jahr an die Schriftstellerin Antje Rávik Strubel für ihren Roman "Blaue Frau". Kim de l'Horizon ist nach Melinda Nadj Abonji erst die zweite Person aus der Schweiz, die den Deutschen Buchpreis gewinnt.
chm
Der Roman "Blutbuch" von Kim de l'Horizon hat Deutschland im Sturm erobert
Der Debütroman von Kim de l'Horizon handelt von Ressentiments, welche über die queere Community zirkulieren. In "Blutbuch" schildert de l'Horizon, wie es wirklich ist, in einem nonbinären Körper zu stecken. Dafür konnte Kim de l'Horizon am Montag nun in Frankfurt am Main den Deutschen Buchpreis entgegennehmen.
Der Siegertitel verweigert sich der Geschlechter-Dialektik: Wie schreibt man über Menschen, die weder Mann noch Frau sind? In "Blutbuch" sucht Kim de l'Horizon nach einer neuen Form und Sprache.
Mit Schminke, Schmuck und Schnauzbart nimmt Kim de l'Horizon den Deutschen Buchpreis entgegen. Ein Rock aus Pailletten, ein Top wie aus Rasen und ein durchsichtiges Oberteil vervollständigen das auffällige Outfit. Kim de l'Horizon versteht sich als non-binäre Person, sieht sich weder eindeutig als Mann noch als Frau, beziehungsweise als beides zugleich.
Unvergessliche Szenen im Römer
18.44 Uhr an diesem Montagabend: Die Siegerehrung beim Deutschen Buchpreis ist ihrer Zeit voraus. Kim de l’Horizon, ausgezeichnet für "Blutbuch", nutzt das zu einer fulminanten Selbst- und Fremdermächtigung.
Andreas Platthaus
Die Woge soll fließen
Kim de l'Horizons Autofiktion "Blutbuch" bekommt den Deutschen Buchpreis. Der Roman ist eine Erforschung der Identitäten und des Schreibens darüber.
Dass sich die diesjährige Jury auf Kim de l'Horizon einigen konnte, spricht für Lust darauf und Spaß daran, sich auch auf literarische Wagnisse einzulassen. Zugleich ist es ein sehr ernsthaftes Buch. An einer Stelle heißt es, dass "das Schreiben eine einzige Wellenlinie ist, eine von weither kommende Woge, die lange vor mir begonnen hat und noch lange nach mir weiterfliessen wird".
https://taz.de/Deutscher-Buchpreis-an-Kim-de-lHorizon/!5889223/
In steter Bewegung
"Blutbuch" ist ein queerer und wilder Roman, der sprachlich viel hin und her springt, mal in Hochdeutsch, mal in Schweizerdeutsch, mal in Englisch, mit mal seitenlangen, mal ganz kurzen Sätzen. Kim de l’Horizon arbeitet mit Fußnoten, inneren Monologen, Erinnerungssplittern und Gedichten, stets geht es vor und zurück, jeder fiktionalen Romaneinheit Hohn sprechend. Von "enormer kreativer Energie" spricht die Jury in ihrer Begründung, von einer "Romanform in steter Bewegung", von "Dringlichkeit und literarischer Innovationskraft". Nun denn.
Gerrit Bartels
https://www.tagesspiegel.de/kultur/in-steter-bewegung-deutscher-buchpreis-fur-blutbuch-8763676.html
Der Siegertitel verweigert sich der Geschlechter-Dialektik: Wie schreibt man über Menschen, die weder Mann noch Frau sind?
Sandra Trauner, dpa
https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/deutscher-buchpreis-fur-kim-de-l-horizon-li.277704
"Ich bin ein*e Zeug*in für diese Zeit und diesen Körper"
De l’Horizon zieht Wörter an und probiert sie aus wie Kleider oder Anzüge; das hier vorgeführte Schreiben ist ein transgressives, es bewegt sich in den Zwischenräumen der Gattungen, Sprachen und Konventionen. Mal wird im Modus unaufhörlichen Fließens auf Satzzeichen verzichtet, kurz darauf trifft man auf ungeheuerliche Interpunktionsverschwendung. Mal wird die Großmutter als "du" adressiert, dann vom "Ich" in die dritte Person gewechselt: "Das Kind weiß: Es darf kein Mann werden."
Marie-Luise Goldmann
Dieses Debüt ist jetzt schon ein Sensationserfolg: Für den bereits ausgezeichneten und ebenso für den Schweizer Buchpreis nominierten Roman "Blutbuch" erhält Kim de l’Horizon nun auch den renommierten Deutschen Buchpreis. Die Auszeichnung wurde am Montagabend verliehen und ist mit 25.000 Euro dotiert.
Kim de l’Horizon, 1992 bei Bern geboren, identifiziert sich als nicht-binär.
Auch die Hauptfigur des Romans "Blutbuch" (Dumont) heißt Kim und fühlt sich weder ausschließlich männlich noch weiblich. Als die Großmutter ihre Dominanz an die Demenz verliert, beginnt Kim eine eigene Sprache zu bilden.
https://kurier.at/kultur/kim-de-lhorizon-gewinnt-den-deutschen-buchpreis/402185637
"Jemensch" statt "jemand"
Kim de l'Horizon schreibt "jemensch" und "niemensch" statt jemand und niemand, "mensch" statt man, aber den Lesefluss stört das erstaunlich wenig. Eine einheitliche Gestalt hat der Roman ohnehin nicht: mal zart, mal derb, mal theoriebeladen, mal psychologisch, mal popliterarisch. Um es mit Kim de l'Horizons eigenen Worten zu sagen: ein "naugty text, der einfach nicht staight sein will", der sich "wegdreht, wegquengelt, wegqueert".
https://www.diepresse.com/6204088/kim-de-lhorizon-gewinnt-deutschen-buchpreis-mit-blutbuch
Erfahrungshunger
Das Siegerbuch passt (…) in die Feststellung der Jurysprecherin Miriam Zeh, es brauche mehr Geschichten über jene, die nicht als Gewinner aufgestiegen seien, sich nicht schon emanzipiert hätten. Es gebe Erfahrungshunger bei den Lesern, persönliche und politische Dringlichkeit hätten in vielen der 202 eingereichten Romane eine Rolle gespielt.
Michael Wurmitzer
https://www.derstandard.at/story/2000140056616/kim-de-lhorizon-gewinnt-den-deutschen-buchpreis
Auf ch-cultura.ch u.a. bereits erschienen:
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Bild: Kim de l’Horizon, 17.10.2022 - Foto: © vntr media, https://www.boersenverein.de/presse/pressefotos/
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Nachtrag vom 18.10.2022:
Literatur besteht nicht nur aus Themen
Kim de l'Horizons "Blutbuch" ist ein komplexer, kunstvoller Roman. Die Entscheidung der Buchpreisjury nur gesellschaftspolitisch zu betrachten, wäre ein Fehlschluss.
Christoph Schröder