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Replik auf "Die Musik-Flatrate - ein Schweizer Modell" von Gerd Leonhard: "Musik-Flatrate – mehr Schnapsidee als Segen!"

Replik auf "Die Musik-Flatrate - ein Schweizer Modell" von Gerd Leonhard: "Musik-Flatrate – mehr Schnapsidee als Segen!"

07.07.2012 Am 01. Juni 2012 lancierte Gerd Leonhard, Autor, Futurist und Musiker, in einem Offenen Brief die Idee, in der Schweiz das Modell einer Musik-Flatrate einzuführen (1). Leonhard richtet sein Anliegen an die Rechtsinhaber, deren Verwertungsgesellschaften SUISA und SWISSPERFORM, an Verbände von Musikschaffenden und Musikproduzenten, an den Bundesrat und dessen Präsidentin Eveline Widmer-Schlumpf. Mit nachfolgender Replik äussern sich die Direktbetroffenen – Urheber, Interpreten, Verleger und Produzenten sowie deren Vertreter – zum Vorschlag von Gerd Leonhard.


Die Replik im Wortlaut:

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Die Idee einer Pauschalgebühr auf digitale kulturelle Inhalte wird seit längerer Zeit diskutiert. Nachdem der Bundesrat im November 2011 in seinem Bericht zum Postulat Savary ('Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen das illegale Herunterladen von Musik?'(2) jeglichen Handlungsbedarf zum Schutz der Kreativindustrie vor der unerlaubten Werknutzung im Internet verneint hat, griffen Nationalrat Balthasar Glättli und Ständerat Luc Recordon das Thema 'Kulturflatrate' auf. In zwei Postulaten fordern sie vom Bundesrat die Erstellung eines Berichts, der aufzeigen soll, ob die anstehenden Probleme der Kreativen mit einer Flatrate gelöst werden können (3).

Leonhards Modell der Musik-Flatrate

Gerd Leonhard setzt bei der aktuellen Diskussion an und analysiert in seinem Schreiben die gegenwärtige Situation der Musikbranche und deren Probleme. Er deklariert dabei Ziele 'einer realistischen Lösung', mit denen sich die betroffenen Rechtsinhaber durchaus identifizieren können. So sollen primär Urheber, Künstler und Produzenten 'fair, schnell und transparent für ihre Arbeit vergütet' und Konsumenten mit legalen, fairen und attraktiven Musikangeboten versorgt werden. Zur Umsetzung dieser Ziele skizziert Leonhard ansatzweise das Modell einer 'Musik-Flatrate' mit folgenden Eckpunkten: Jeder Schweizer Nutzer soll eine Vergütung in Höhe von CHF 1.- pro Woche bezahlen. Im Gegenzug soll ihm das Streamen und Downloaden von '(fast) allen verfügbaren Werken in allen Katalogen (also nationale als auch internationale Werke), mit Ausnahme von Live-Konzerten, Webcasts, speziellen Vorveröffentlichungen, High-Definition Versionen etc.' erlaubt sein. Die entsprechende Lizenz soll allen interessierten Parteien im Sinne einer öffentlichen Standardlizenz zur Verfügung gestellt werden. Dabei sollen kommerzielle Anbieter (z.B. ISPs, Radiosender, Internetportale) entscheiden, ob sie die wöchentliche Gebühr selbst berappen oder auf den Endkonsumenten überwälzen. Die geschätzten jährlichen Lizenzeinnahmen von CHF 156 Millionen (bei 3 Millionen Nutzern in der Schweiz) sollen zwischen den urheber- und den leistungsschutzrechtlich Berechtigten hälftig geteilt und die Verteilung der Gelder von einer der Schweizerischen Verwertungsgesellschaften wie der SUISA übernommen werden.

Standpunkt der Direktbetroffenen

Die Kulturschaffenden und mit ihr die Kulturwirtschaft und das Ausland haben die Diskussion über die Flatrate bereits geführt. Aus nachfolgend angeführten zahlreichen Gründen sprechen sich die Urheber, die Interpreten und die Musikwirtschaft entschieden gegen eine Musik-Flatrate aus.

Eine Musik-Flatrate führt zu einer Teilenteignung der Rechtsinhaber und greift in deren Handels- und Gewerbefreiheit ein.

Mit der Einführung einer Musik-Flatrate würden die ausschliesslichen Rechte der Urheber, Verleger, Interpreten und Produzenten bezüglich der Online-Nutzungen ihrer Werke und Darbietungen zu einem Vergütungsanspruch zurückgestuft. Die Rechtsinhaber würden enteignet, sie könnten über Online-Verwendungen ihrer Werke und Leistungen nicht mehr entscheiden, solche also auch nicht mehr verbieten.

Zudem setzt eine Musik-Flatrate die grundlegenden Prinzipien der freien Marktwirtschaft ausser Kraft, indem sie privates geistiges Eigentum zum öffentlichen Gut erklärt. Hinzu kommt, dass mit einer Flatrate in die Wirtschaftsfreiheit der Rechtsinhaber eingegriffen wird; eine solche Pauschale würde verhindern, dass die Rechtsinhaber den Preis ihrer Leistungen selbst bestimmen können. Alle Güter würden zu einem Einheitspreis verkauft. Dem Künstler, der mehr in die Produktion seiner Werke investiert, wäre es verwehrt, seine Mehrinvestitionen durch einen höheren Verkaufspreis wieder einspielen zu können.

Die Musik-Flatrate lässt die Kim Schmitz' dieser Welt jubeln und etabliert die Schweiz als Standort für Piraterieanbieter.

Gerd Leonhard geht von einer Vorbildfunktion der Schweiz aus, indem ein heimisches Flatratemodell 'in ganz Europa oder sogar weltweit Anwendung finden' dürfte. Hinter diese Aussage ist ein grosses Fragezeichen zu setzen. Denn die Schweiz zeichnet sich bereits heute durch ein äusserst liberales Urheberrechtsgesetz aus; nach geltender Rechtslage ist der Download ab einem P2P-Netzwerk zur privaten Nutzung frei. Im Rahmen einer Flatrate würde auch der Upload legalisiert, um den Konsumenten einen Mehrwert zu verschaffen (4). Mit einer solchen, international einmaligen Neuerung würde die Schweiz zu einem sicheren Hafen für Anbieter von Internet-Piraterie; Filehoster wie Megaupload könnten ihre Angebote sorgenfrei von der Schweiz aus steuern.

Ausserdem irrt Leonhard, wenn er meint, die Einführung einer Flatrate sei ohne 'grundsätzliche Änderung des Urheberrechts' möglich. Anpassungen des nationalen Rechts wären unumgänglich. Diese hätten zudem die Verletzung verschiedener von der Schweiz unterzeichneter Staatsverträge zur Folge (5). So könnte die Einführung einer Flatrate dazu führen, dass die Schweiz mit Handelssanktionen belegt und aus verschiedenen internationalen Verträgen ausgeschlossen würde. Dies dürfte auch der Schweizerischen Exportwirtschaft schaden, die stark auf den Schutz von Marken und Patenten angewiesen ist.

Auch der Bundesrat machte in seiner Stellungnahme zum Postulat Glättli mehr als deutlich, dass eine solche Entwicklung für die Schweiz nicht in Frage kommt: 'Der Bundesrat ist gerne bereit, eine Übersicht über mögliche neue Formen der Urheberrechtsentschädigung zusammenzustellen. Eine Entschädigung, die den Austausch nicht lizenzierter Werke im Internet abdeckt, würde allerdings auch das unerlaubte Anbieten (den 'Upload') miteinschliessen und damit eine sichere Heimat für illegale Plattformen wie Pirate Bay schaffen. Eine solche Lösung wäre zudem mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der Schweiz kaum vereinbar. Der Bundesrat geht davon aus, dass dies nicht im Sinne des Urhebers des Postulats und der Mitunterzeichner ist und wird diesem Umstand im Bericht Rechnung tragen.'

Die Musik-Flatrate als Todesstoss für legale Angebote

Nach Gerd Leonhard ist die digitale Piraterie 'Konsequenz eines fortwährenden Versagens der freien Marktwirtschaft und der Politik'. Dem ist entgegenzuhalten, dass die vielgeschmähte 'freie Marktwirtschaft' überhaupt nicht versagt, sondern bereits seit Jahren zahlreiche 'Flatrate'-Angebote im Musikbereich geschaffen hat (Spotify, Deezer, Juke, Musicload, Music Unlimited, Napster, Rara.com, Simfy etc.).

'Bezahlte Downloads über iTunes' kommen nach Leonhardt als mögliche Option für viele Konsumenten aber nur sehr begrenzt in Frage. In diesem Zusammenhang fragt sich, ob es Aufgabe des Gesetzgebers sein soll ein System einzuführen, mit dem erstens den bereits vorhandenen legalen digitalen Plattformen wie iTunes, Napster oder Spotify die wirtschaftliche Basis entzogen würde, und das zweitens zur Folge hätte, dass weitere Bemühungen der Kultur- und Kreativwirtschaft neue legale Angebote zu entwickeln, unterbleiben würden, da Investitionen zu riskant wären.

Ein Modell mit falschen Einnahmenprognosen

Als Vorteil seines Modells führt Leonhard an: 'Die Umsätze der Musikindustrie und der Urheber könnten potentiell verdoppelt werden.' Er vergleicht die von ihm prognostizierten Einnahmen von CHF 156 Millionen mit den Umsatzzahlen 2011 der Mitglieder des Branchenverbandes der Schweizer Tonträgerproduzenten IFPI Schweiz (6). Keine Berücksichtigung bei der Gegenüberstellung finden weitere Einnahmen  aus  der Verwertung von Musik, so etwa von den Verwertungsgesellschaften SUISA und SWISSPERFORM für die Berechtigten einkassierte Gelder. Der Hinweis auf eine mögliche Verdoppelung der Umsätze ist somit falsch.

Eine freiwillige Standardlizenz, die niemand will

Gerd Leonhards Aussagen sind an verschiedener Stelle widersprüchlich. So glaubt er an eine freiwillige Umsetzung seines Modells einer 'voluntary collective license'. Dabei würden die Anbieter (ISPs, Telekoms usw.) in den meisten Fällen die Kosten der Musik-Flatrate aus Marketinggründen übernehmen, so dass der Endnutzer nichts bezahlen müsste. Gleichzeitig weist Leonhard darauf hin, der bisherige freie Markt habe bereits 'ausgiebig bewiesen', dass es 'in 95% aller Fälle nicht zu einer Tarifeinigung zwischen der Musikindustrie und den Telekomfirmen kommt'. Was nun? Tatsache ist, dass sich die von Leonhard genannten 'kommerziellen Anbieter' bereits seit Jahren mit allen Mitteln dagegen wehren, die Rechte von Urhebern, Interpreten und Produzenten angemessen zu entschädigen. So bekämpfen dieselben Firmen seit 2008 die Einführung einer Leerträgerentschädigung für Smartphones. Arglos ist, wer glaubt, diese Firmen seien nun plötzlich auf freiwilliger Basis zur Bezahlung einer Flatrate bereit.

Fazit

Die genannten Hinweise zeigen auf, dass die Einführung einer Musik-Flatrate der Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt gleichkäme. Deren Einführung würde zu Jubel bei den Kim Schmitz' dieser Welt führen. Künstler, Produzenten, Konsumenten, legale Anbieter, aber auch die Schweiz würden als Verlierer da stehen. Anstelle der Begehung dieses fragwürdigen Weges ist die Politik gehalten, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um

  • eine nutzungsabhängige Entschädigung von Urhebern und Interpreten zu garantieren;
  • Urhebern und Interpreten den Zugang zu legaler Verwertung zu gewährleisten;
  • staatliche Massnahmen gegen die Piraterie zu ermöglichen und unterstützen, insbesondere auch durch stärkeres Erfassen der Access und der Hosting Provider.

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Unterzeichner

AudioVision Schweiz: Roger Chevallaz, Geschäftsführer

ifpi Schweiz: Lorenz Haas, Geschäftsführer

Musikschaffende Schweiz: Reto Burrell, Präsident

SIG Schweizerische Interpretengenossenschaft: Cla F. Nett, Geschäftsführer

SUISA: Andreas Wegelin, Generaldirektor

SWISSPERFORM : Poto Wegener, Direktor

Zürich, 6. Juli 2012

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(1) http://www.gleonhard.com/musik.html.

(2) https://www.ige.ch/juristische-infos/rechtsgebiete/urheberrecht.html.

(3) Postulat Nr. 12.3326 - "Für ein Urheberrecht, das fair ist und im Einklang mit den Freiheiten der Internetgemeinde steht" (Luc Recordon) / vgl. http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20123326. Postulat Nr. 12.3173 - "Angemessene Entschädigung von Kulturschaffenden unter Einhaltung der Privatsphäre der Internetnutzenden" (Balthasar Glättli) / vgl. http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20123173.

(4) Siehe dazu auch das Postulat Glättli, das den "Austausch nichtlizenzierter Werke" anführt.

(5) Art. 9 Abs. 2 RBÜ, Art. 13 TRIPs, Art. 10 WCT und Art. 16 WPPT sehen vor, dass Einschränkungen von Urheberrechten und Leistungsschutzrechten nur "in gewissen Sonderfällen" möglich sind: Konkret dürfen weder die normale Auswertung des Werkes oder der Darbietung beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen der Rechtsinhaber in unzumutbarer Weise verletzt werden. Eine Musik-Flatrate würde diese Garantien der Rechtsinhaber verletzen: es liegt kein "Sonderfall" vor, wenn geschützte Inhalte auf Tauschbörsen herauf- und heruntergeladen werden können.

(6) Vgl. http://www.ifpi.ch/index.php/downloads/articles/marktzahlen.html.

 

 

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