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"WERKSTÜCKE?": STICKEREIEN VON NEGEV-BEDUININNEN IM BLICK IHRER NACHKOMMENDEN

"WERKSTÜCKE?": STICKEREIEN VON NEGEV-BEDUININNEN IM BLICK IHRER NACHKOMMENDEN

15.04.2024 Ausstellung im Völkerkundemuseum Zürich, bis am 15. September 2024


Bild oben: Kosmetikbehälter (mukuhle), im Februar 1996 dem Völkerkundemuseum übergeben von Widad Kawar, palästinensische Sammlerin von Kleidern, Textilien und Schmuck. Inv.-Nr.: 22170 - Foto: Kathrin Leuenberger, 2023.

Bild: Blaues Festkleid (tob azrag) für eine unverheiratete Frau. Die hier dominierende Farbe Blau steht für sexuelle Inaktivität. Auffallend ist, dass, während der untere Teil blau, der obere rot bestickt ist. Ob diese Kombination mit Geschmackssache oder mit dem Wiederverwenden von bestehenden Stickereien zu erklären ist, ist eine offene Frage. Gesammelt von Widad Kamel Kawar, 1996. VMZ Inv.-Nr. 22177. Herkunftsregion: Negev-Nordsinai (Grenzgebiet zu Ägypten), ca. 1945. - Foto: Kathrin Leuenberger, 2023.

Bild: Blaues Festkleid (tob azrag) für eine unverheiratete Frau. Die hier dominierende Farbe Blau steht für sexuelle Inaktivität. Auffallend ist, dass, während der untere Teil blau, der obere rot bestickt ist. Ob diese Kombination mit Geschmackssache oder mit dem Wiederverwenden von bestehenden Stickereien zu erklären ist, ist eine offene Frage. Gesammelt von Widad Kamel Kawar, 1996. VMZ Inv.-Nr. 22177. Herkunftsregion: Negev-Nordsinai (Grenzgebiet zu Ägypten), ca. 1945. - Foto: Kathrin Leuenberger, 2023.

«Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass ethnographische Sammlungen, die die materielle Kultur der Beduinen dokumentieren, sehr selten sind. Die einfachen Gebrauchsgegenstände wurden von Sammlern wenig beachtet, ausser vielleicht Schmuck und Stickereien.» So argumentierte das Völkerkundemuseum 1984 für einen Kredit zum Kauf einer umfangreichen Sammlung beduinischer Alltagsobjekte aus der Negev-Wüste. Dazu gehören zahlreiche Stickereien: bestickte Frauengewänder, Tücher, Patchworktaschen, einzelne Kleidungsteile, um einige zu nennen. Gewisse Stickarbeiten sind abgeschlossen, andere unvollendet. Dennoch handelt es sich bei jeder um ein Unikat.

Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl von Stickereien und öffnet den Blick auf die vielfältigen Perspektiven auf die Sammlung. Wie verändert der Kontext die Bedeutung von Objekten? Wer schreibt ihnen jeweils welchen Sinn zu? Wessen Expertise kommt in welcher Form zum Vorschein, wessen Wissen bleibt unbeachtet?

Ein Tisch mit Stühlen, daneben in einer Vitrine ein Beutel mit Garn und Werkzeugen: Sie bilden das Zentrum der Ausstellung «Werkstücke?» im Völkerkundemuseum Zürich und laden ein zu Reflexion und Austausch – über die gezeigten Sammlungsstücke, aber auch über die verschiedenen Kontexte, in denen sie betrachtet, genutzt und gedeutet werden.

Bei den ausgestellten Objekten handelt es sich um Textilien aus der Negev-Wüste: Bunte, mit geometrischen Mustern bestickte Frauengewänder, einzelne Kleidungsteile, Tücher und Taschen, angefertigt von Beduinen-Frauen, angekauft vom Völkerkundemuseum in den 1980er- und 1990er-Jahren.

Kontext beeinflusst die Sichtweise

Kuratiert hat die Ausstellung Saada Elabed, Doktorandin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft. Sie nahm ihre eigene Doppelrolle als Ethnologin und Nachfahrin der stickenden Beduininnen als Ausgangspunkt, um verschiedenen Perspektiven auf die präsentierten Textilien in der Ausstellung auszuloten. Was sieht eine Stickerin in den Objekten? Was bedeuten sie für eine Ethnologin oder eine Stickerei-Expertin? Was verbinden heutige Angehörige der beduinischen UrheberInnengesellschaft damit? Und was geschieht, wenn die Perspektiven verknüpft werden?

Videosequenzen sowie eine Reihe von Zitaten in deutscher, englischer und arabischer Sprache spiegeln diese unterschiedlichen Sichtweisen auf die Stickereien: Die 80-jährige Beduinin kommt ebenso zu Wort wie die 33-jährige Studentin aus Shqeb as-Salam, die Textilrestauratorin des Völkerkundemuseums oder dessen Direktorin. Augenfällig dabei: Alle befragten Personen sehen in den Textilien etwas anderes. Mal wird die freie Kreuzsticktechnik analysiert, mal werden Kindheitserinnerungen wach, abhängig von der jeweiligen Herkunft und Lebensrealität.

Persönlicher Bezug zur Sammlung

Auch die eigene Beziehung zur Sammlung lässt Kuratorin Saada Elabed einfliessen, von ihr stammen unter anderem die grossformatig präsentierten Fotos der Negev-Wüste: «Als visuelle Anthropologin arbeite ich grundsätzlich mit der eigenen Wahrnehmung, mit der ich sehe, höre, rieche, schmecke. Das sind die ‹Rohdaten›, die mir zur Verfügung stehen. Als ich die Stickereien zum ersten Mal im Museumsdepot sichtete und ihren Geruch einatmete, sah ich unwillkürlich meine Grossmutter vor mir.» Elabeds Vater kam in den 1980er-Jahren aus der Negev-Wüste in die Schweiz; ihre Verwandtschaft väterlicherseits lebt nach wie vor in der Region.

Die Phase vor der Ausstellungeröffnung war vom aufflammenden Nahostkrieg überschattet. Unklar war etwa, ob die Werke von Zenab Garbia in der Ausstellung gezeigt werden können. Die Künstlerin und Tante der Kuratorin setzt sich in ihren Keramikarbeiten mit der beduinischen Stickerei auseinander und verhandelt dabei zum Beispiel Gender-Themen: In einem mit Stickereien verzierten Kaffeekrug trifft so eine traditionell weibliche Tätigkeit, das Sticken, auf die männliche Sphäre des Kaffeekochens.

Zusätzliche Perspektiven erweitern den Bedeutungshorizont

«Werkstücke?», der Titel der Ausstellung, bezieht sich so einerseits auf die handgefertigten und zum Teil noch unfertigen Unikate. Andererseits versteht sich die Ausstellung selbst als nicht abgeschlossene Erkundung, als «work in progress». Sie zeigt keine fertigen Forschungsergebnisse, sondern öffnet gezielt auch den Raum für Perspektiven, die bisher nicht oder nur marginal einbezogen wurden, beispielsweise die Sichtweise von Personen der Diaspora, die oft weder ganz als Mitglied der Ankunftsgesellschaft noch als Teil der UrheberInnengesellschaft wahrgenommen und deswegen übersehen werden. Neue Erkenntnisse, die sich so während der Laufzeit ergeben, sollen wo immer möglich in die Ausstellung integriert werden. Auch die Besucherinnen und Besucher sind dazu eingeladen, ihren Standpunkt zu reflektieren und persönliche Gedanken und Eindrücke zu den Stickereien festzuhalten. Auf dem Tisch im Zentrum des Raums liegen dafür Papier und Stifte bereit.

vkm

Kontakt:

https://www.musethno.uzh.ch/de/ausstellungen/Werkst%C3%BCcke.html

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Bild: Bestickte Kleidungsteile aus der Negev-Region in der beduinischen Sammlung des Völkerkundemuseums UZH, Datierung unbekannt. - Foto: Kathrin Leuenberger, 2023.

Bild: Bestickte Kleidungsteile aus der Negev-Region in der beduinischen Sammlung des Völkerkundemuseums UZH, Datierung unbekannt. - Foto: Kathrin Leuenberger, 2023.

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