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"RE/SCULPTURE": DIE SCHWEIZERISCHEN PLASTIKAUSSTELLUNGEN BIEL-BIENNE

"RE/SCULPTURE": DIE SCHWEIZERISCHEN PLASTIKAUSSTELLUNGEN BIEL-BIENNE

01.09.2024 Biel-Bienne ist eine Stadt der modernen Skulptur. Zu diesem internationalen Renommée trägt die Schweizerische Plastikausstellung bei, die älteste und grösste ihrer Art in der Schweiz. Sie findet seit 1954 in Biel-Bienne statt. Im 70. Jahr ihres Bestehens blickt "Re/Sculpture" auf die Ausstellungsgeschichte und ihr Nachleben. Sie wird aus der Perspektive des Publikums erzählt, das die Ausstellungen einst besuchte und heute mit ihren Spuren lebt. (NMBiel-Bienne, bis am 19. Januar 2025)


Bild: Manuel Torres, Enlac, 1974 - © Rudolf Steiner

Remo Rossi, Toro, 1953, © Stadtarchiv BielBienne, Polizeifotosammlung, N_704-2-1

Bild: Remo Rossi, Toro, 1953, © Stadtarchiv BielBienne, Polizeifotosammlung, N_704-2-1

Von den abstrakten Kunstwerken der 1950er- und 1960er-Jahre bis hin zur Robert Walser-Sculpture wurde der Inhalt jeder Ausgabe intensiv diskutiert. Kunst braucht Öffentlichkeiten. Öffentlichkeiten entstehen durch Kunst. Zwischen Vermächtnis und Gestaltung der Zukunft – Biel-Bienne macht Skulptur.

Die Ausstellung kam auch dank der Einsendungen von Privatpersonen zustande. Sie ist Ergebnis einer Kooperation des NMB Neues Museum Biel-Bienne mit dem Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog im Verlag für moderne Kunst.

Zeigen

Auf Initiative des kunstinteressierten Lehrers Marcel Joray hin wurde Biel-Bienne 1954 zum Austragungsort der Schweizerischen Plastikausstellung. Vom Atelier ins Freie: Alle vier Jahre bot sich der aktuellen Bildhauerkunst eine verlässliche Plattform. Bereits mit der ersten Ausgabe stiess die Ausstellung auf internationales Echo. Sie war ein Sprungbrett für Schweizer Künstler und ermöglichte ihnen, Werke in Paris, Venedig und New York zu zeigen.

Von den traditionellen Werkstoffen Bronze und Stein bis zu den vergänglichen Materialien, vom kleinen Modell bis zur ausgeführten Grossskulptur: Joray regte eine fachliche Diskussion um das Genre Skulptur an und lud die Bevölkerung ein, sich der modernen Kunst im städtischen Gebiet zu nähern.

Ein Bildungsanspruch zeigte sich von Anfang an in Vermittlungsansätzen durch Führungen, Broschüren und Spazieranleitungen. Das Ziel: Das Publikum mit zeitgenössischer Skulptur vertraut machen.

Walter Linck, Fontaine, 1954, © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv - Fotograf Comet Photo AG (Zürich) Com_M03-0221-0001

Bild: Walter Linck, Fontaine, 1954, © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv - Fotograf Comet Photo AG (Zürich) Com_M03-0221-0001

Zustände eines Werks

Kunstwerke präsentieren sich in verschiedenen Zuständen: Als Idee auf dem Papier eines Anmeldeformulars, als Modell oder fertig installierte Skulptur, festgehalten auf Fotografien oder in Zeitungsausschnitten, die um die Welt gehen. Fontaine von Walter Linck hat viele Umsetzungen durchlebt – vor, während und nach der ersten Schweizerischen Plastikausstellung. Heute steht die Brunnenskulptur in Bern, wie aktuelle Fotografien zeigen.

Produktionsstätten

Skulpturen werden in Bronze gegossen, in Stein gehauen und aus Kunststoff geformt, aus Stahl geschweisst oder aus Holz gesägt. Dahinter steht der körperliche Einsatz von Künstler:innen, der sich an der Schweizerischen Plastikausstellung zum Teil live vor Ort abspielte: 1980 konnte die Entstehung der Kunst verfolgt, der handwerkliche Prozess nachvollzogen und der Aufbau der Skulpturen beobachtet werden.

Die Geschlechterbilanz der Schweizerischen Plastikausstellung ist unausgeglichen. Als eine der wenigen Frauen nahm die Berner Künstlerin Mariann Grunder regelmässig an der Ausstellungsreihe teil. Über mögliche Gründe für diese Ungleichheit spricht Annelise Zwez - zu hören im Audiobeitrag.

Swissness

Mit der Schweizerischen Plastikausstellung hat deren Gründer Marcel Joray die Marke der Schweizer Skulptur aufgebaut. In seinem Verlag Éditions du Griffon publizierte er Überblickswerke zum zeitgenössischen skulpturalen Schaffen in der Schweiz und förderte Künstler durch Einzelveröffentlichungen. «Swissness» wurde zum Credo, das über die Landesgrenzen hinaus Erfolge feierte: Joray war 1958 nach Como und 1963 nach Paris eingeladen, um Ausstellungen zur Schweizer Skulptur zu organisieren. Das Buch Hommage à Marcel Joray mit Botschaften zahlreicher Künstler:innen würdigt sein Engagement.

Film

Die Schweizerische Plastikausstellung fand in pädagogischen Ansätzen einen Widerhall: Die Bieler Lehrer Edgar Sauvain sowie Jacques Dutoit und Luc Monnier besuchten die Kunst im Freien mit ihren Schulklassen und erprobten neue Vermittlungsansätze. Für den Film Soixante-dix von Dutoit & Monnier bewegten sich die Schüler:innen des Gymnase français de Bienne, begleitet von eigens komponierter Orgelmusik von Bernard Heiniger, durch die Schweizerische Plastikausstellung. Die Kombination von Kamerafahrt und Musik unterstreicht die Bewegung der Skulpturen oder ihre räumliche Präsenz.

Klein und Gross

Modelle zeigen den Zustand der Skulpturen vor ihrer finalen Realisierung. Sie geben einen seltenen Einblick in den Entwicklungsprozess. Das Verhältnis der Dimensionen zwischen kleinen Modellen und grossen Skulpturen wird deutlich – Kunst wird skaliert. Historische Fotografien zeigen die ausgestellten Werke an den Schweizerischen Plastikausstellungen.

Angel Duarte, 1966 © Kunstsammlung Stadt BielBienne

Bild: Angel Duarte, 1966 © Kunstsammlung Stadt BielBienne

Debattieren

Ab den 1970er-Jahren gab die Skulptur im öffentlichen Raum vermehrt Anlass zur Interaktion, etwa mit neuen Gattungen wie Environments und Installationen. Die Relevanz der Schweizerischen Plastikausstellung bemass sich an der Einbindung pluraler Öffentlichkeiten: Neben dem kunstinteressierten Publikum war auch die breite Bevölkerung mit den Werken konfrontiert. Das nahmen Bildhauer:innen zum Anlass, ortsspezifische Kunst zu produzieren und ihren Arbeitsplatz während der Ausstellungsdauer in den Stadtraum zu verlegen.

Vermehrt brachte sich das Publikum ein, sei es mit Leserbriefen, eigenen Skulpturen oder einem Parallelprogramm.

Die Kehrseite davon war ein zunehmender Vandalismus an den Kunstwerken, der auch die wirtschaftliche Krisensituation von Biel-Bienne widerspiegelte. Trotzdem setzte sich das Format der Skulpturenausstellung durch und Biel-Bienne bekam Konkurrenz. Mit Bex, Moutier, Riehen, Vira Gambarogno oder dem Burgdorfer Bildhauersymposium erhielt Kunst im öffentlichen Raum weitere Austragungsorte in der Schweiz.

#SPA

Das Posieren vor Kunstwerken ist heute eine übliche Praxis beim Besuch einer Ausstellung. Schnell ist das Smartphone gezückt und ein Bild in den Sozialen Netzwerken gepostet. Auch in der Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung luden so manche Skulpturen besonders zu Schnappschüssen ein, etwa durch Gucklöcher, Spiegeleffekte oder Rahmen. Die Kunstwerke boten den passenden Hintergrund für die neueste Mode oder die Erinnerung an den Familienausflug.

Nutzen und Nutzung

Die Aufwertung von Stadträumen durch Kunst wurde in den 1970er-Jahren auf politischer Ebene neu verhandelt. Das Kulturförderungsgesetz von 1975 verankerte das Einbinden von Kunstwerken beim Bau von öffentlichen Gebäuden. Es bestand die Erwartung an die Künstlerschaft, die Öffentlichkeit als Teil des Kunstwerks zu adressieren. Viele Werke der Schweizerischen Plastikausstellung siedelten sich zwischen autonomem ästhetischem Objekt und Funktionalität an: Skulpturen waren zur Bespielung vorgesehen, dienten als Bühnen für Performances oder wurden vom Publikum als Nutzobjekte zweckentfremdet.

Spielräume

Ab den 1970er-Jahren gestaltete das Organisationsteam jeder neuen Ausstellungsausgabe ein ambitioniertes Vermittlungsprogramm, das über die klassischen Kunstführungen hinausreichte. Es gab Kooperationen, die 1980 etwa zur Schülerausstellung unter dem Motto «Wir leben in dieser Stadt» führte. Dafür entwarfen Schülerinnen und Schüler mit künstlerischen Mitteln ihre Visionen für die Stadt Biel-Bienne. Und wenn die Emotionen in der Stadt einmal allzu hochkochten, so schlichtete der Pfarrer in der Sonntagspredigt: Drei direkt vor der Stadtkirche platzierte, barbusige Holzfiguren von Raffael Benazzi hatten in der Kirchgemeinde einen Eklat ausgelöst.

Zusammen

Skulpturen entstanden seit den 1970er-Jahren häufig in Zusammenarbeit. Das Klischee des einsam im Atelier produzierenden Kunstgenies wurde abgelöst von der gemeinschaftlichen Kooperation. Künstler:innen arbeiteten vermehrt im Kollektiv, schufen mit der Bevölkerung zusammen Werke oder instruierten, wie Herbert Distel für sein Projekt Canaris, einen aufwändigen Medienapparat. Die Fotografien dokumentieren den sozialen und kommunikativen Prozess bei der Entstehung von Kunstwerken.

Dafür oder Dagegen

Die Schweizerische Plastikausstellung polarisierte seit jeher, denn nicht alle gezeigten Skulpturen waren konsensfähig. Manche Besuchenden machten ihrem Unmut auf besondere Art und Weise Luft: Sie schmuggelten eigene Skulpturen in die Ausstellung ein. Andere zerstörten Kunstwerke mutwillig, was 1980 sogar landesweit im Fernsehen debattiert wurde.

So verblieb beispielsweise Roland Werros umstrittene Installation Liber über die Ausstellungsdauer hinaus auf dem Bahnhofsplatz und diente als Community Gallery für lokale Kunstinitiativen.

Kurt Sigrist, Projekt Zeitraum, 1980 - Foto: © Jeanne Chevalier

Bild: Kurt Sigrist, Projekt Zeitraum, 1980 - Foto: © Jeanne Chevalier

Eingreifen

Die Schweizerische Plastikausstellung drang immer weiter in das Lebensumfeld der Bevölkerung vor. Tenor war, dass die Kunst sich kaum wahrnehmbar vom öffentlichen Raum unterschied, bisweilen gesucht werden musste. Mit dem neuen Jahrtausend erschloss die Ausstellungsreihe die neuen Räume der digitalen Öffentlichkeiten, auf Plattformen wie Second Life und Blogs.

Die Künstlerschaft forderte die Reaktion des Publikums heraus – und bekam sie. Das Alarmieren der Feuerwehr, das Entsetzen über die vermeintlich zum Verkauf stehenden öffentlichen Gebäude oder die Beschwerden über ein Unfallauto auf einem Parkfeld waren Stadtgespräch. Die Unterschriftensammlungen für ein Referendum gegen das Referendum und die Gründung von Bürgerrepubliken irritierten das politische Empfinden.

Totgesagte leben länger: Aufgrund der unmittelbar vor Eröffnung abgesagten Ausgabe 1997 stand die Reihe vor dem Aus. Die Wiederaufnahme im Jahr 2000 war ein deutliches Bekenntnis der Öffentlichkeit zur kulturellen Bedeutung der Schweizerischen Plastikausstellung.

Tatorte

Die Schweizerische Plastikausstellung hat immer wieder Eingriffe seitens der Bieler Bevölkerung provoziert. Sei es aus Sorge um eine akute Bedrohungslage oder aber, um dem Unmut einzelnen Kunstwerken gegenüber Ausdruck zu verleihen. Ob besorgte oder straffällige Bürgerschaft – beide Situationen lösten Debatten um Kunstzensur aus.

Schauplätze

Die Schweizerische Plastikausstellung ist traditionell in Biel-Bienne zuhause. Der Tendenz zu räumlicher Erweiterung bei internationalen Grossausstellungen folgend, öffnete sich die Ausstellungsreihe ab den 1990er-Jahren für alternative Schauplätze. So fand sie 1991 auch in einer Aussenstelle in Saint-Imier statt. Eine Plakatkampagne in europäischen Grossstädten warb 2000 für die Schweizerische Plastikausstellung. 2009 vermittelten Stadtführungen Bieler Orte abseits von touristisch erschlossenen Pfaden, während virtuelle Welten neue Möglichkeiten für Kunst im öffentlichen Raum erschlossen.

Unsichtbarkeit

Die drei Ausgaben der Schweizerischen Plastikausstellung 1991, 2000 und 2009 hatten Eines gemeinsam: Sie zeigten Kunstprojekte, die auf subtile Weise im öffentlichen Raum verortet waren und sich unsichtbar machten. Die installativen und performativen Arbeiten setzten sich mit der gesellschaftlichen Relevanz des öffentlichen Raumes für die Stadtbevölkerung auseinander.

Ortsspezifische Kunstwerke machten die gemeinschaftlichen Infrastrukturen von Biel-Bienne sichtbar und zeigten sie der Bevölkerung aus einem neuen Blickwinkel.

Verfassungen

Einen Schwerpunkt der 11. Schweizerischen Plastikausstellung 2009 bildeten bestehende oder neu gegründete fiktive Nationen. Durch die Beteiligung an Utopics erlangten sie den Status eines Kunstwerkes. Die visuellen Insignien, überinszenierten Verwaltungsakte und selbsternannten Republiken machten die Staatenbildung zum partizipativen Schauspiel in Bürgerbeteiligung.

Carl Bucher, Baalbek, 1980 - Foto: © Jeanne Chevalier

Bild: Carl Bucher, Baalbek, 1980 - Foto: © Jeanne Chevalier

Machen

Eine Skulptur entfaltet sich nicht nur im architektonischen Umfeld der Stadt, auf ihren Wegen und Plätzen. Le Mouvement und die Robert Walser-Sculpture lenkten die soziale Kommunikation und die Interaktionen des städtischen Lebens. Doch was geschieht nach dem Ende einer Ausstellung? Was bleibt von den ephemeren Performances und menschlichen Interaktionen, vom partizipativen Engagement? Kurzum: Wie gestaltet sich das Nachleben der Schweizerischen Plastikausstellung?

Einige Skulpturen wurden als Kunstwerke für den öffentlichen Raum angekauft und gehören längst zum Bieler Alltagsleben, teils versehen mit neuen Funktionen: Sie dienen als Stadtmöblierung oder Trainingsgeräte, andere werden zu Bühnen für den politischen Diskurs oder erlangen Reichweite als Selfie-Hotspot. Jede Generation nähert sich den Kunstwerken neu. Kunst braucht Engagement!

Biel engagiert sich

An den Ausgaben 2014 und 2019 war das Publikum in die Ausstellungen einbezogen und hat sich aktiv für die Kunst eingesetzt: Sei dies an Performances und im Vermittlungsprojekt von Le Mouvement oder während der Robert Walser-Sculpture. Beiträge für die Tageszeitung, Crowdfunding, Präsenz auf der Skulptur – Engagement gehört zum Konzept.

Nachsorge

Was passiert mit Skulpturen, die dauerhaft im öffentlichen Raum stehen? Der Künstler Christian Jankowski schlägt Turnübungen an ihnen vor. Die Grünen Biel und die SVP nutzen sie für politische Zwecke. Martina Morger thematisiert mit feministischem Ansatz deren Zerfall. Mit einem Appell zur Nachsorge reinigt die Künstlerin das Wasserspiel von Alma Rossini – und fordert uns auf, es ihr gleichzutun.

Das Stadtgespräch

Die Schweizerischen Plastikausstellungen geben zu reden: Was ist Kunst? Wo gibt es Grenzen? Wie geht es weiter mit der ESS-SPA? Momente von Euphorie und Krise wechseln sich ab. Die Ausstellungsreihe wird zum Stadtgespräch: Digital ausgetragen durch Posts in den Sozialen Netzwerken, in Zeitungsartikeln, Leserbriefen, Umfragen im Radio und in persönlichen Gesprächen. Jede Bielerin, jeder Bieler vertritt eine Meinung zur Kunst.

Quelle:

https://www.nmbiel.ch/files/Ausstellungen/ReSculpture/Mediendossier_ReSculpture_DE.pdf

Kontakt:

https://www.nmbiel.ch/ausstellungen/resculpture

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Ausstellungsansicht NMB 2024 - Foto: © Patrick Weyeneth, NMB

Bild: Ausstellungsansicht NMB 2024 - Foto: © Patrick Weyeneth, NMB

 

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