"MARGUERITE HERSBERGER. DEM RAUM RAUM GEBEN"
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22.10.2023 Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv, Zürich, vom 26. Oktober 2023 bis am 14. Januar 2024 - Vernissage am 25. Oktober 2023, ab 18 Uhr
Bild: Marguerite Hersberger - Foto: Roland Schmidt, Zürich
Nach achtundzwanzig Jahren widmet das Museum Haus Konstruktiv der Schweizer Künstlerin Marguerite Hersberger (*1943 in Basel) ihre zweite Einzelausstellung mit retrospektivem Charakter. Eine der wichtigsten VertreterInnen konstruktiv-konkreter Gegenwartskunst, interessiert sich Hersberger seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens gleichermassen für Licht, Farbe, geometrische Formgebung und für Raum. Dass diese für ihr Œuvre so substanziellen Aspekte in einem steten Dialog stehen, wird anhand der exemplarischen Werkauswahl in der Ausstellung im Haus Konstruktiv deutlich.
Die Ausstellung
"Dem Raum Raum geben" erstreckt sich über zwei Stockwerke und beginnt im vierten Obergeschoss. Sie gibt Einblick in Marguerite Hersbergers Schaffensphasen von 1967 bis heute und ist vorwiegend chronologisch angelegt. Zu den frühesten im Museum Haus Konstruktiv präsentierten Werken zählen jene Arbeiten, in denen Hersberger mit Acrylglasprismen zu experimentieren anfängt: Einmal sind die Licht reflektierenden Glaskörper in ein farbig bemaltes Holzkästchen eingelassen ("Boîte magique Nr. 1", 1967), ein andermal erscheinen sie als variable Elemente, die durch Drehung eine Veränderung von Licht und Farbe hervorrufen ("deux éléments variables", 1968). Weiter liegen sie gestapelt übereinander ("3-teilige Prismen", 1976), oder sie sind mit bemalter Leinwand hinterlegt ("Prisma Relief Nr. 10", 1967). Konzipiert wurden all diese frühen Arbeiten aus Acrylglas mit der Idee, "die Malerei durch eine Lichtmalerei zu ersetzen". Bis heute ist dies der bevorzugte Werkstoff der Künstlerin geblieben.
Bild: Marguerite Hersberger, "Farbschatten Nr. 1", 2021, Acrylglas, Acrylfarbe, 90 x 90 x 5 cm - Foto: Stefan Altenburger
Anfang der 1970er-Jahre beginnt Hersberger mit Hauben aus Acrylglas zu arbeiten. Deren Inneres bespannt sie mit Nylondraht, wodurch Raumzeichnungen entstehen, die ein raffiniertes Spiel zwischen Drahtfigur und Schattenwurf entfalten. Die "Organisations spatiales", so der Titel dieser Werke, verweisen wie die früheren Acrylglasprismen auf die zentralen Themen, die sich durch das gesamte Œuvre von Hersberger ziehen. Dies sind: der Faktor Licht als wesentlicher Bestandteil, das Thema Transparenz, das für die räumliche Wahrnehmung, das Davor und das Dahinter bestimmend ist, die Einbeziehung des Raumes.
Raum wird auch in den ab 1973 realisierten "Polissagen" thematisiert. Die Arbeiten dieser Werkgruppe bestehen aus Holzkastenrahmen und Acrylglasscheiben, die zu integralen Bestandteilen der Kompositionen werden. Hersberger hat gewisse Bereiche der Scheiben mit Schmirgelpapier waagrecht, senkrecht oder rund angeschliffen und opak gemacht. Die unbearbeiteten, transparent gebliebenen Zonen geben die Sicht frei auf die mit Acrylfarbe gezeichneten oder gemalten Kompositionen im Hintergrund. Je nach Lichteinfall und Blickrichtung erzeugen diese Bildobjekte veränderliche Eindrücke von ein und derselben Komposition.
Eine Besonderheit stellen die poetisch-verspielten "Lichtpinsel" (1972/73) dar, die Hersberger im Zuge ihres ersten Kunst-und-Bau-Projekts entwickelt hat. 1971 wird sie eingeladen, eine Arbeit für das Foyer des Hotel Nova Park zu entwerfen. Die Künstlerin schlägt eine Wandinstallation mit vier unterschiedlichen Formationen aus Glasfasern vor. Das Modell sowie einige Variationen von kleineren, dem Standard der heutigen Elektrik angepassten Lichtobjekten sind im Museum Haus Konstruktiv nun erstmals öffentlich zu sehen. Umgesetzt wurde das ursprüngliche Projekt leider nie.
Bild: Marguerite Hersberger, "Lichtpinsel Nr. 4", 1972/1973, Glasfasern, Acrylglas, gespritztes Metal, 65 x 65 x 12 cm - Foto: Stefan Altenburger
In den 1980er-Jahren realisiert Hersberger neben "Polissagen" im klassischen Quadrat- oder Rechteckformat vermehrt grössere Werke aus Arcrylglas, mit denen sie in den Raum vordringt. Noch immer aus getrübtem und transparentem Acrylglas gefertigt, zeigen diese Bildobjekte leuchtend farbige Hintergrundmalereien.
Die zweiteilige Arbeit "Prismatische Körper" (1983) – mit je einer geometrischen Komposition in Gelb und Weiss – löst beim Betrachten eine optische Täuschung aus: Die zwei dreiseitigen Prismateile sind horizontal so ausgerichtet, dass sich die flachen Spitzen in der Mitte berühren. Blickt man nun seitlich durch die Glaskörper, so eröffnet sich eine imaginäre Unendlichkeit, die durch Spiegelungen des nicht mattierten Acrylglases hervorgerufen wird. So klar diese Werkgruppe konstruiert ist, offenbart sie uns doch auch Hersbergers Sinn für das Spielerische. Dies gilt ebenso für die fünf farbig gestreiften Acrylglasdreiecke, die in ihrer Anordnung an ein Kaleidoskop erinnern. Der Titel dieser Wandinstallation lautet denn auch schlicht "Kaleidoskopisch" (1987).
Mit dem Einsatz von Diagonalen werden Marguerite Hersbergers Werke zunehmend dynamischer. Exemplarisch kommt dies in den ab 1980 entstandenen Arbeiten "Rotation um einen Mittelpunkt" und der gleichnamigen, eigens für das Museum Haus Konstruktiv konzipierten Wandmalerei im dritten Stock (Unterzug) zum Ausdruck. Das Bildinnere wird dort durch mehrere in bestimmten Winkeln zueinander liegende Linien organisiert. Eine innere Dynamik entwickeln auch die "Ineinandergefügten Quadrate" und die "Scheibenbilder (beide ab 1990), die ebenfalls im dritten Stock zu sehen sind: Die Arbeiten dieser Werkgruppen bestehen jeweils aus einer einzelnen Acrylglasscheibe, auf deren Vorder- und Rückseite gekippte Rechtecke oder Quadrate einmal gleichmässig pastos, einmal leicht wolkig aufgemalt sind. Die daraus resultierenden Verschachtelungen und Überlagerungen führen zu überraschenden Seherlebnissen.
Ab 1993 beschäftigt sich Marguerite Hersberger intensiv mit dem Kreis als bildbestimmendem Motiv. Kreisflächen oder -segmente führt sie – teilweise in Kombination mit Quadraten und Rechtecken – zu räumlich raffinierten, mehrschichtig scheinenden "(Kreis-)konstellationen". Die Bildträger dieser Werke bestehen aus zwei nah zueinander montierten Acrylglasscheiben. Beide Platten sind partiell mit geometrischen Formen bemalt: auf der vorderen sorgfältig von Hand und durchscheinend, auf der dahinterliegenden gleichmässig mit der Spritztechnik aufgetragen. Dieses Vorgehen führt zu verblüffenden Wahrnehmungsmomenten: Der weiss belassene Hintergrund bringt ein lasierend aufgetragenes Blau zum Leuchten, derweil dasselbe Blau vor hellgelbem Hintergrund dunkel und matt erscheint ("Viertelskreise", Nr. 63 a + b, 1995).
Bild: Marguerite Hersberger, "Farbschatten Nr. 6", 2022, Acrylglas, Acrylfarbe - Foto: Stefan Altenburger
Um Licht, Transparenz, Farben und deren Schattenwurf geht es schliesslich in den jüngsten Arbeiten von Marguerite Hersberger. Die "Farbschatten", so der Titel dieser Werkgruppe, erzeugt Hersberger, indem sie geometrische Formen mittels transparenter Farbe auf Acrylglasscheiben malt. Unter künstlicher Lichtquelle zeichnen sich die Schatten auf dem Bildhintergrund nicht in den erwarteten Schwarztonabstufungen ab, sondern in Farben.
Eine eigene Werkgruppe bilden die im linken Kabinett ausgestellten "Pliagen", die Hersberger seit den 1990er-Jahren realisiert. Die "Faltungen" basieren auf Transparentpapierbahnen, die teilweise beidseitig mit Acrylfarbe oder Grafit eingefärbt sind. In gewissen Winkeln gefalzt, erzeugen diese Faltformen minimale Bildräume, die der Vielschichtigkeit der Acrylglasobjekte sehr nahe kommen. Die neueren Arbeiten der Serie verweisen mit den Titeln "Houses", "Doors", "Windows" oder "Spaces" explizit auf einen architektonischen Kontext. Hersbergers Interesse für den architektonischen Raum lässt sich insbesondere auch an den zahlreichen Kunst-und-Bau-Projekten ablesen, die sie im In- und Ausland umsetzen konnte. Ihnen ist das rechte Kabinett gewidmet.
Ob Plastik, Wandobjekt, Papierarbeit, Wandmalerei oder Kunst-und-Bau-Projekt, ob im kleinen oder grossen Massstab – alle Exponate zeugen von Hersbergers sensiblem Umgang mit Raum und von ihrer Fähigkeit, ein von Reduktion geprägtes Formenvokabular mit grosser Sinnlichkeit aufzuladen.
Eine umfassende Publikation zum raumbezogenen Schaffen Marguerite Hersbergers wird am 15. November 2023 mit einer Buchvernissage präsentiert.
Marguerite Hersberger besuchte von 1964 bis 1966 die Basler Schule für Gestaltung mit Fokus auf Bildhauerei. Danach arbeitete sie bis 1970 im Bildhaueratelier von François Stahly in Paris. Von dort zog sie nach Zürich, wo sie noch heute wohnt und arbeitet.
Kuratiert von Sabine Schaschl und Evelyne Bucher
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Kontakt:
https://www.hauskonstruktiv.ch/ausstellungen/
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Bild: Marguerite Hersberger, "Windows" (Pliage Nr. 149), 2019/20, Acryl und Transparentfolie, 70 x 70 cm - Foto: Peter Schälchli