"KOLONIAL - GLOBALE VERFLECHTUNGEN DER SCHWEIZ"
12.09.2024 Ausstellung im Landesmuseum Zürich, vom 13. September 2024 bis am 19. Januar 2025
Bild: Menschenhandel - Die Figurengruppe zeigt den Verkauf eines versklavten Menschen. Die Kleidung der Figuren lässt Spielraum für Interpretationen: es ist nicht klar, ob die Figurengruppe für oder gegen die Sklaverei zu interpretieren ist. Bekannt ist, dass die Besitzer und Kunsthandwerker der Porzellanmanufaktur sowohl Verbindungen zu abolitionistischen Kreisen als auch zu Kreisen, die in den Handel mit versklavten Menschen involviert waren, hatten. Dies verunmöglicht eine klare Deutung. Menschenhandel, Manufaktur Kilchberg-Schooren, Kilchberg, um 1775, Porzellan, bemalt
Bild: Indiennes - Bedruckte Baumwollstoffe sind das bedeutendste Handelsgut im Tausch gegen versklavte Menschen. Dieses Fragment ist wohl der einzig erhaltene Stoff, der eigens für den Tausch gegen Versklavte produziert wurde. Le lion et la chèvre, Manufacture Petitpierre & Cie, Nantes, um 1790, Holzmodeldruck auf Baumwolltuch - Schweizerisches Nationalmuseum
Das Landesmuseum Zürich präsentiert erstmals einen umfassenden und multiperspektivischen Überblick zur kolonialen Geschichte der Schweiz. Die Ausstellung tut dies basierend auf neusten Forschungsresultaten, anhand von Biografien und illustriert mit Objekten, Kunstwerken, Fotografien und Schriftdokumenten.
Die Ausstellung ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden anhand von zahlreichen Fallbeispielen elf Handlungsfelder thematisiert, in denen sich Schweizer Personen, Firmen oder Gemeinwesen ab dem 16. Jahrhundert kolonial betätigten. Das Panorama reicht geographisch von Nord- und Südamerika über Afrika bis nach Asien. Einzelne Schweizer Firmen sowie Privatpersonen beteiligten sich am transatlantischen Sklavenhandel oder verdienten am Handel mit Kolonialprodukten und durch die Ausbeutung versklavter Menschen ein Vermögen.
Schweizerinnen und Schweizer waren als Missionare auf der ganzen Welt unterwegs oder verliessen die Schweiz, um Siedlungskolonien zu gründen und vermeintlich unbewohntes Land zu bewirtschaften. Andere, getrieben von Armut oder Abenteuerlust, dienten als Söldner in europäischen Heeren, die koloniale Eroberungen unternahmen und den Widerstand der indigenen Bevölkerungen bekämpften.
In der Heimat prägte neben den Briefen und Berichten aus den Kolonien auch die Wissenschaft den Blick auf die Menschen in den Kolonien. An den Universitäten Zürich und Genf formulierten Wissenschaftler Rassentheorien, die international verbreitet wurden und der Legitimation des kolonialen Systems dienten.
Bild: Maryland - Karl Krüsi (1855–1925) arbeitet in Niederländisch-Indien auf Schweizer Plantagen. 1881 ersteht er eine eigene und benennt sie nach seiner Frau Mary. 1893 verkauft er. Nun vermögend baut er in Zürich die Villa Sumatra an der heutigen Sumatrastrasse. Manager House in Deli, Karl Krüsi, Sumatra, 1885 - Schweizerisches Nationalmuseum
Bild: "De chli Pflanzer" - In der Plantagenwirtschaft auf Sumatra, damals Teil des niederländischen Kolonialgebiets, profitieren Schweizer als weisse Europäer von kolonialen Arrangements, wie Zugang zu Land oder billiger Arbeitskraft. Schweizer Tabakplantagen-Administrator aus Stäfa mit Sohn, Kotari, 1921 - Privatbesitz
Der zweite Teil der Ausstellung geht der Frage nach, was das koloniale Erbe für die Schweiz der Gegenwart bedeutet. Aufgezeigt werden die Folgen des Kolonialismus, die bis heute spürbar sind – so etwa in der global ungleichen Verteilung von Wohlstand oder im Umweltbereich.
Im Zentrum stehen aber auch Debatten, welche die Schweizer Bevölkerung direkt beschäftigen: Sollen beispielsweise Strassennamen oder Denkmäler von Personen, die am Kolonialismus beteiligt waren, geändert, bzw. gestürzt werden oder wird dadurch die Geschichte zensiert?
Die Besuchenden sind eingeladen zu diskutieren und ihre Gedanken zum Thema in
der Ausstellung zu hinterlassen.
Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen haben in den letzten Jahren einschlägige Publikationen über die kolonialen Verflechtungen der Schweiz herausgegeben.
Auch die Museen haben die Bedeutung des Themas erkannt, was sich u.a. in den Ausstellungen, die in diesem Herbst zu sehen sind, wiederspiegelt.
Die Ausstellung im Landesmuseum bietet erstmals eine thematisch breit gefächerte Übersicht über die koloniale Verflechtungsgeschichte der Schweiz. Zahlreiche Stimmen kommen darin zur Sprache, verschiedene Regionen, Handlungsfelder und Positionen werden beleuchtet.
Beiträge von Künstlerinnen und Künstlern wie Denise Bertschi, Sasha Huber, Chris Pappan, Mathias C. Pfund, Deneth Piumakshi Veda Arachchige oder Dom Smaz bringen wertvolle Perspektiven ein.
Auch Aspekte aus Interaktionen mit der Öffentlichkeit und mit verschiedenen Experten und Akteurinnen sind in die Entwicklung der Ausstellung eingeflossen.
Ein internationaler wissenschaftlicher Beirat hat die Konzeption begleitet. Neben einem umfangreichen Vermittlungsangebot für Schulen, das mit der Historikerin Ashkira Darman erarbeitet wurde, bietet die Ausstellung ein umfangreiches Rahmenprogramm mit interaktiven Führungen, Begegnungen, Podien sowie Fokusveranstaltungen in Kooperation mit der ETH Zürich und dem Historischen Lexikon der Schweiz.
slm
Kontakt:
https://www.landesmuseum.ch/kolonial
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Kritischer Bericht dazu im "Tages-Anzeiger" vom 12.09.2024:
Wie raffgierig und rassistisch war die Schweiz wirklich?
Das Landesmuseum versucht sich am umstrittenen Trendthema der kolonialen Schuld unseres Landes. Man wünschte sich dabei weniger Schwarz-Weiss-Denken.
Michael Marti
https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich-landesmuseum-widmet-sich-der-kolonialen-schweiz-335510765652
Bild: Koloniale Wissenschaft - Fritz und Paul Sarasin forschen in Ende 19. Jh. in Britisch-Ceylon und Celebes, damals Teil der niederländischen Kolonien. Sie gehen aber auch auf Grosswildjagd. Das Jungtier dieses erlegten Elefanten wird dem Basler Zoo überbracht. Sarasins in Sri Lanka, 1883–1907 - ETH-Bibliothek Zürich
Bild: Arnold Heim - Der Schweizer Geologe (1882–1965) forscht auf allen Kontinenten. Viele seiner Forschungsreisen sind von Ölfirmen finanziert. Im Verlauf seiner Karriere entwickelt er sich zum Naturschützer und Befürworter der Dekolonisierung. Virunga-Expedition, Mutandasee (Uganda), 1954 - ETH-Bibliothek Zürich