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"JA, WIR KOPIEREN! STRATEGIEN DER NACHAHMUNG IN DER KUNST SEIT 1970"

"JA, WIR KOPIEREN! STRATEGIEN DER NACHAHMUNG IN DER KUNST SEIT 1970"

23.05.2023 Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn, bis am 27. August 2023


Bild oben: Rosina Kuhn, Andromeda, 2012, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm © die Künstlerin

Mit Werken von

Judith Albert, Morehshin Allahyari, Bastien Aubry, Bank, Álvaro Barrios, Hannes R. Bossert, Luis Camnitzer, Nicola Costantino, Rudolf de Crignis, Stephanie Dinkins, Klodin Erb und Eliane Rutishauser, Giulia Essyad, F+F Schule, Gina Fischli, Claire Fontaine, Bruno Heller, Lynn Hershman Leeson, Olivia Heussler, Rosina Kuhn, Nelson Leirner, Olia Lialina mit Mike Tyka, Hans-Rudolf Lutz, Mickry 3, Ka Moser, Museum für Fotokopie, Adrian Piper, Dieter Roth, Yves Scherer, Lisa Schiess, Klaudia Schifferle, Anne-Marie Siegrist-Thummel, M. Vänçi Stirnemann, Anna Stüdeli, Sturtevant, Klaus Urbons, Danh Võ, Andy Warhol, Semih Yavsaner / Müslüm, The Yes Men

Remake, reuse, reassemble, recombine – that’s the way to go.
– Sturtevant, 2012

Die Gruppenausstellung im Kunstmuseum Solothurn enthält ein Geständnis: Ja, wir kopieren. Denn: Ohne Kopieren und Nachahmen kann es keine Kunst geben.

In der traditionellen Kunstausbildung war das Kopieren und Nachahmen von Vorbildern jahrhundertelang die Grundlage des Lernens. Durch die Imitation künstlerischer Vorbilder sollte Kunst als Mimesis – als produktive Nachahmung – die Natur ihres Modells erfassen.

Erst als neue Technologien wie Fotografie und Film die bildende Kunst ihrer mimetischen Funktion entlasteten, wurde Originalität zum A und O. So festigten Anfang des 20. Jahrhunderts viele Avantgarden in ihrem Bestreben nach künstlerischen Neuanfängen den Fetisch fürs Original.

Der Kanon der modernistischen Kunsttheorie war ebenso an einer Abwertung der Kopie als Produkt der Amateur- und Populärkultur beteiligt – um eine Unterscheidung zwischen dem 'high' der bildenden Kunst vom 'low' der Massenmedien vorzunehmen.

Seit den 1970er-Jahren ist wiederum eine Wende zu spüren: neue (Bild-)Technologien – und damit auch neue Kopiermethoden – haben sich rasant entwickelt und sind breit zugänglich geworden. Erst ist ein postmodernes, zuletzt postdigitales Zeitalter eingeläutet worden, in dem Ursprünge, Urheberrechte und eine aufs menschliche Individuum beschränkte Kreativität alt aussehen.

Bastien Aubry, Crocks in the Night, 2022, Holz, Acrylfarbe, Inkjet-Druck auf Papier, Kleber, 69.5 x 49.5 cm © der Künstler 

Bild: Bastien Aubry, Crocks in the Night, 2022, Holz, Acrylfarbe, Inkjet-Druck auf Papier, Kleber, 69.5 x 49.5 cm © der Künstler 

Sturtevants Werke stehen beispielhaft für das Credo postmoderner Theorie und Kreativität im Zeitalter von Copy-Paste und Künstlicher Intelligenz: Die Künstlerin fertigt täuschend echte Wiederholungen an, wobei sich mit jeder Repetition minimale Differenzen zwischen dem einen und anderen auftun – ein Spalt, in dem auch unsere (Werte-)Vorstellungen von Original und Kopie, Wirklichkeit und Illusion gespiegelt und überdacht werden können.

Und dennoch: Selbst im Heute ist das, was der Literaturkritiker Harold Bloom 1973 als 'anxiety of influence' in den Künsten diagnostizierte, stets allgegenwärtig. Dabei ist die Angst vor dem Einfluss anderer auch eine Angst vor dem Stehlen und Bestohlen-Werden.

Neben grassierenden Gerichtsprozessen um Copyright sind digitale NFTs (Non-Fungible Tokens, dt.: nicht-austauschbare Wertmarken) stärkster Ausdruck dieses Bangens: Die Autorschaft muss eindeutig, das Original klar beweisbar sein.

Wichtige Diskussionen um kulturelle Appropriation, die durch polarisierende Mechanismen der sozialen Medien oft kurzgeschlossen werden, sorgen weiter für Beklemmung um Akte des Kopierens und Nachahmens. Ja, zuweilen erscheint die Angst darum umso grösser, desto unausweichlicher Kopieren und Nachahmen im Heute erscheinen – das heisst auch die gegenseitige Beeinflussung zwischen Menschen, Kulturen, Technologien und Anderen.

Mickry 3, Der Fluss, 2014, Styropor, Acrystal, Acryl, Spiegel, Murmeln, 135 x 147 x 93 cm © die Künstlerinnen, Foto: Gion Pfander 

Bild: Mickry 3, Der Fluss, 2014, Styropor, Acrystal, Acryl, Spiegel, Murmeln, 135 x 147 x 93 cm © die Künstlerinnen, Foto: Gion Pfander 

Die Gruppenausstellung "Ja, wir kopieren! Strategien der Nachahmung in der Kunst seit 1970" will dieser Angst entgegentreten und differenzieren. Die Ausstellung rollt die jüngste Kunstgeschichte von der Kopie her auf: Kopieren und Nachahmen werden hier nicht nur als technische Grundlage von künstlerischen Ausbildungs- und Schaffensprozessen gezeigt, sondern auch als kritische Strategien. Es wird nachgemalt und nachgestellt, kopiert und gefälscht, appropriiert und umgenutzt, collagiert und uminterpretiert; es werden Rollen getauscht und Arbeiten zum Kopieren durch Copyleft und 3D-Druck dargeboten.

In "Ja, wir kopieren!" geraten nicht selten tradierte Wert- und Machtverhältnisse in Kunst und Gesellschaft ins Wanken. Es werden alternative Beziehungs- und Informationsnetze geknüpft, neue Techniken der Produktion erprobt sowie soziale und politische Dimensionen der Distribution erkundet – oft auf ebenso lust- und humorvolle wie auf widerständige Weise.

Dabei geraten sowohl Gender- und Klassenhierarchien als auch (Neo-)Kolonialismus und Rassismus wiederholt ins Visier.

Die Gruppenausstellung geht von der Schweizer Szene aus und setzt sie mit internationalen Schlüsselfiguren in Dialog. Wichtige kunsthistorische Stränge stellen die Pop-, Konzept- und Performancekunst dar, die in den 1970er-Jahren auch die Gründung der Schule für experimentelle Gestaltung F+F in Zürich prägten. Neue Xerox-Fotokopierer wurden hier zu einem künstlerischen Werkzeug gemacht.

Jüngere Beiträge nutzen Technologien wie Künstliche Intelligenz und 3D-Druck, nicht selten, um eine individualistisch und westlich geprägte, konsumorientierte Weltsicht zu unterlaufen.

Insgesamt bringt "Ja, wir kopieren!" 40 künstlerische Positionen aus verschiedenen Generationen und Ecken der Welt zusammen. Die Kuration erfolgt ohne Anspruch auf Vollständigkeit und lineare Genealogien. Vielmehr nimmt sich die Ausstellung die Freiheit, im Geiste ihres Titels ein vielseitiges, breites Netzwerk zu skizzieren, das ebenso von subtilen wie unverschämten Bezugnahmen lebt.

So ist die Ausstellung auch ein Aufruf: "Ja, lasst uns kopieren! Geben wir zu,
dass wir es tun – und umso besser, wenn bewusst und kreativ."

Kuratiert mit Michael Hiltbrunner, Kulturanthropologe

kms

Kontakt:

https://www.kunstmuseum-so.ch/de/

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Olia Lialina mit Mike Tyka, Treasure Trove, 2017, URL © die Künstler*innen 

Bild: Olia Lialina mit Mike Tyka, Treasure Trove, 2017, URL © die Künstler*innen 

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