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"HINGABE UND SEHNSUCHT - SAMMLUNG EVA UND KONRAD SEITZ"

"HINGABE UND SEHNSUCHT - SAMMLUNG EVA UND KONRAD SEITZ"

05.06.2022 Ausstellung im Museum Rietberg, Zürich, bis am 30. Oktober 2022


Bild oben: Krishnas verborgenes Liebesleid. Folio 216 aus der "Dritten Orchha Rasikapriya-Serie" (RP XI, 5), Indien, Bundelkhand, Orchha, 1610–1615, Museum Rietberg, Sammlung Eva und Konrad Seitz, Inv.-Nr. 2019.510

Kraftvolle Farben und klare geometrische Formen zeichnen die Miniaturmalerei der indischen Region Bundelkhand aus, südlich der Städte Delhi und Agra gelegen. Dort entstanden an den fürstlichen Höfen von Orchha, Datia und Panna aussergewöhnliche Meisterwerke der indischen Malerei. Als einziges Museum ausserhalb Indiens erhält das Museum Rietberg mit der Schenkung von Eva und Konrad Seitz eine einzigartige Sammlung von Malereien aus Bundelkhand und kann sie in ihrem künstlerischen und historischen Kontext in einer neuen Ausstellung in der Park-Villa Rieter der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Der Titel der Ausstellung "Hingabe und Sehnsucht" nimmt einerseits Bezug auf die spirituelle Bedeutung dieser Bilder, auf ihren ästhetischen Anspruch und ihre Motive. Andererseits verweist er auf die Leidenschaft, mit der das Sammlerehepaar Eva und Konrad Seitz diese Werke zusammengetragen und wissenschaftlich auf ihre Hintergründe und Besonderheiten untersucht hat. Die Ausstellung folgt den Spuren von Konrad Seitz' Forschung und stellt seine neuen Erkenntnisse das erste Mal dem Publikum anhand der Originalwerke vor.

Im Allgemeinen konzentrierten sich die Maler in ganz Bundelkhand in ihren Motiven weitgehend auf klassische Themen der indischen Kunst: Sie stellten die Visualisierung von religiösen Texten und Epen sowie Liebesdichtungen in regionalsprachlichen Versionen ebenso ins Zentrum ihres Schaffens wie die Sanskrit-Poesie. Das in der indischen Kunsttheorie vorherrschende Prinzip von rasa (deutsch: Geschmack, Stimmung, Essenz oder Saft) und die Frage, wie dies auf den Betrachter oder die Betrachterin eines Bildes übertragen werden kann, stand für die Künstler dieser Kunstregion stets an oberster Stelle. Ein Kunstwerk soll einen bestimmten rasa, einen "Geschmack" oder "Saft" oder eine "Essenz", also eine bestimmte Grundstimmung beinhalten, um beim Publikum ein entsprechendes "Empfinden" hervorzurufen. Ganz im rasa eines Kunstwerkes aufzugehen, kommt einer religiösen Erfahrung gleich und lässt den rasika, denjenigen, der dies zu tun versteht, vom Absoluten kosten. Diesen Anspruch künstlerischer Ästhetik verbanden die Maler in ihren Werken auf unvergleichliche Weise mit dem hinduistische Ideal der Hingabe (bhakti), das in der Region Bundelkhand vom ausgehenden 16. Jahrhundert an über rund 100 Jahre besonders ausgeprägt zelebriert wurde.

Typisch für die bhakti-Bewegungen ist der Gebrauch von regionalen Sprachen, Liedern und Geschichten, die den Gläubigen einen unmittelbaren und sehr intimen Zugang zum Göttlichen erlauben. Die Beziehung zwischen Mensch und Gott oder Göttin wird dabei als eine Liebesbeziehung verstanden, in der im Idealfall der Mensch ganz in dieser Liebe aufgeht und die Erlösung findet. Damit wird religiöses Handeln zu einer tief emotionalen Angelegenheit, vor allem, weil die Liebe durch Sehnsucht nach dem Unerreichbaren und sich dem Menschen immer wieder Entziehenden geprägt ist. Die Betonung der Gefühle hat zur Folge, dass ästhetisch-sinnlichen Erlebnissen eine wichtige Rolle in der religiösen Praxis zukommt. Kunst in all ihren Formen erlaubt es, diese Emotionalität auszudrücken und zu erfahren.

In der bhakti ist der rasa der Liebe (shringara) vorherrschend. Kunstwerke und damit auch Malereien, die im Kontext der bhakti entstanden, wie dies in Bundelkhand der Fall war, haben zum Ziel, den Betrachtenden oder die Betrachtende am entsprechenden rasa teilhaben zu lassen. Die illusionistische Wiedergabe der sichtbaren Welt entspricht nicht dem vornehmlichen Interesse der Maler. Farben, Formen, Symbole und begleitende Poesie spielen deshalb in ihren Werken eine ungleich grössere Rolle. Erst im Laufe der Zeit fanden naturalistische Darstellungsweisen Eingang in die Malerei nicht primär um ein realistischeres Bild zu malen, sondern um den rasa zu intensivieren.

Krishna verschlägt es beim Anblick Radhas die Sprache. Folio 109 aus der «Dritten Orchha Rasikapriya-Serie» (RP VI, 32), Indien, Bundelkhand, Orchha, 1610–1615, Museum Rietberg, Sammlung Eva und Konrad Seitz, Inv.-Nr. 2019.491

Bild: Krishna verschlägt es beim Anblick Radhas die Sprache. Folio 109 aus der "Dritten Orchha Rasikapriya-Serie" (RP VI, 32), Indien, Bundelkhand, Orchha, 1610–1615, Museum Rietberg, Sammlung Eva und Konrad Seitz, Inv.-Nr. 2019.491

Eva und Konrad Seitz gehörten schon früh zum kleinen Kreis der ersten Privatsammler, die sich für die höfische hinduistische Malerei Nordindiens interessierten. Sie waren tief beeindruckt von "der Macht dieser Bilder, den Betrachtenden in eine Art poetische Trance" zu versetzen ihnen erschloss sich ein anderes Kunsterlebnis, das von der westlichen Art, Kunst gerahmt und hinter Glas zu betrachten, abwich. Mit ihrer Sammlung haben Konrad und Eva Seitz für die nachfolgenden Generationen der Freunde indischer Malerei höchste ästhetische und qualitative Massstäbe gesetzt. Nachdem sie dem Museum Rietberg einen gewichtigen Teil der Bilder ihrer Pahari-Sammlung überlassen haben, kam in den letzten Jahren auch eine umfangreiche Schenkung von Miniaturen aus der Region Bundelkhand hinzu.

Konrad Seitz, der spätere Botschafter Deutschlands in Indien, Italien und China, startete seine Diplomatenlaufbahn 1968 in Delhi. Mit der Ankunft in Indien wurde seine Begeisterung für die indische Malerei geweckt, von der sich auch seine Gattin Eva anstecken liess. Seit der Pensionierung stand mehr Zeit für die Kunst zur Verfügung und so wuchs das Bedürfnis, nicht nur eine einmalige Sammlung an Miniaturen zu besitzen, sondern auch in der Forschung und Geschichtsschreibung zur indischen Malerei Spuren zu hinterlassen. Mit den Schriften zur Kunst an den Höfen von Bundelkhand ist dies zweifellos gelungen. Nach den 2015 publizierten deutschen Bände "Orchha, Datia, Panna. Miniaturen von den rajputischen Höfen Bundelkhands 15801820" erscheint das Werk nun in erweiterter und überarbeiteter Fassung auf Englisch. Konrad Seitz' Erkenntnisse über die Produktion der Miniaturmalereien, deren Hintergründe und Umstände lassen die Bilder in einer kulturell und politisch bewegten Zeit in neuem Licht erscheinen und stellen langgehegte Annahmen der indischen Kunstgeschichte in Frage. Während Jahrzehnten wurde vermutet, dass diese Bilder von wandernden Malerfamilien im Gebiet von Malwa (südöstlich von Rajasthan) stammen. Konrad Seitz argumentiert in seinen Publikationen, dass die Bilder der sogenannten "Malwa-Schule" nicht
nur geografisch anders verortet werden müssen eben in Werkstätten an den Höfen von Bundelkhand , sondern auch zeitlich rund eine Generation früher zu datieren sind. In der Ausstellung "Hingabe und Sehnsucht" wird erläutert, wie im Bereich der indischen Miniaturmalerei kunsthistorische Zuschreibungen und Kategorisierungen von Kunstregionen und Epochen entstehen und sich verändern.

Der Beginn der Malerei in Bundelkhand Ende des 16. Jahrhunderts fällt historisch in die Zeit, in der sich in Orchha ein dauerhafter Regierungssitz der dort ansässigen Herrscher etablierte. Mit der Festigung des Fürstentums ging die Begründung und Pflege einer höfischen Kultur einher, die als wichtigen Bestandteil auch den Unterhalt einer Künstlerwerkstatt einschloss. Die Maler wurden wohl aus dem nahe gelegenen Gwalior rekrutiert, das bereits im 15. Jahrhundert für seine illustrierten Manuskripte bekannt war, politischen Umständen geschuldet jedoch seine Macht verlor.

Die Malereigeschichte in Bundelkhand ist eng verwoben mit den politisch-herrschaftlichen Umständen. Sie beginnt einzig und allein mit vier Bilderserien, die Ende des 16. Jahrhunderts entstanden. Zunächst öffnen sich die Malerkünstler ersten Einflüssen der Malerei, wie sie an den kaiserlichen Mogulhöfen gepflegt wird der Fürst von Orchha Bir Singh Deo steht dem Mogulherrscher Jahangir nahe, eine kulturelle Annäherung scheint deshalb nicht verwunderlich. Als 1627 beide Herrscher wechseln, ändert sich auch das Verhältnis zwischen den beiden Thronfolgern und ist nun vornehmlich von Konflikten beherrscht. 1635 endet dies in der vollständigen Zerstörung und Plünderung Orchhas.

Die spannungsreichen Jahre schlagen sich auch in der Malerei nieder. Durch den Niedergang des Fürstentums in Orchha spaltet sich die künstlerische Produktion in der Folgezeit in zwei unterschiedliche Stilrichtungen: In Orchha entwickelt sich auf der Basis der frühen Malerei ein expressiver und ornamentaler Stil mit originellen Bildkompositionen. Dieser Zweig kann sich als "volkskunsthaft" bezeichnen lassen und setzt sich später vor allem in Panna fort.

In Datia hingegen, dem damaligen Exil der politischen Elite, verstärkt sich der Einfluss der Mogulmalerei zunehmend. So entsteht eine einmalige Kombination aus mogulisch beeinflussten, fein modellierten Figuren und abstrakten Hintergründen, wie sie charakteristisch für Datia sind. Und während die Maler sich in Orchha weiterhin bewusst der Illustration regionaler Dichtung widmen, wenden sich die Interessen andernorts Werken in der überregionalen Gelehrtensprache Indiens, dem Sanskrit, zu.

Die Ausstellung gewährt einen Einblick in die künstlerische Praxis und Stilentwicklung vor den kulturellen und politischen Hintergründen der Region Bundelkhand für die Dauer von drei Jahrhunderten bis ins 19. Jahrhundert.

mrz

Kontakt:

https://rietberg.ch/

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«Sehnsüchtig denkt er an die Geliebte hinter hundert Flüssen und Bergen». Folio aus einer Amarushataka-Serie, Indien, Bundelkhand, Datia, ca. 1652–1655, Museum Rietberg, Sammlung Eva und Konrad Seitz, Inv.-Nr. 2021.102

Bild: "Sehnsüchtig denkt er an die Geliebte hinter hundert Flüssen und Bergen". Folio aus einer Amarushataka-Serie, Indien, Bundelkhand, Datia, ca. 1652–1655, Museum Rietberg, Sammlung Eva und Konrad Seitz, Inv.-Nr. 2021.102

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