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"FRIEDRICH DÜRRENMATT ALS ZEICHNER UND MALER - DAS BILDNERISCHE WERK IM SPANNUNGSFELD VON MYTHOS UND WISSENSCHAFT"

"FRIEDRICH DÜRRENMATT ALS ZEICHNER UND MALER - DAS BILDNERISCHE WERK IM SPANNUNGSFELD VON MYTHOS UND WISSENSCHAFT"

06.07.2020 Sonderausstellung im Schloss Spiez, bis am 25. Oktober 2020


Bild: Friedrich Dürrenmatt beim Lithografieren, 1988, Foto: © Franziska Messner-Rast 
(Bild zur Vergrösserung anklicken)

Bald jährt sich der Geburtstag des Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) zum hundertsten Mal. Dass der Autor der "Physiker" und des "Besuchs der alten Dame" auch ein umfangreiches bildnerisches Werk hinterlassen hat, ist vielen noch nicht bekannt.

Die Sonderausstellung 2020 im Schloss Spiez zeigt eine repräsentative Auswahl der grafischen und zeichnerischen Arbeiten des Autors. Dies in enger Zusammenarbeit mit dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel, das den bildnerischen Nachlass Dürrenmatts pflegt, erforscht und dem Publikum zugänglich macht.

Als Kind und Jugendlicher hätte der Pfarrerssohn Friedrich Dürrenmatt gerne Maler werden wollen. Mit Eifer zeichnete er Schlachtenbilder und Freiheitshelden. 1934 gewann er damit einen Preis des Pestalozzi-Kalenders. Doch der Maler Cuno Amiet, dem die besorgten Eltern einige Talentproben vorlegten, war skeptischer: Der Bub solle Oberst werden, bemerkte er trocken. Doch es kam anders.

Nachdem Dürrenmatt ein Studium der Philosophie in Zürich und Bern angefangen und abgebrochen hatte, entschloss er sich 1947, Schriftsteller zu sein und vom Schreiben zu leben. Doch gab er das Malen und Zeichnen nie auf, behielt aber seine Werke unter Verschluss, verschenkte hie und da ein Blatt an Freunde und war erst sehr spät bereit, eine Auswahl davon öffentlich auszustellen.

Dürrenmatt wusste, dass sein bildnerisches Werk, anders als seine Dramen und Romane, nicht als selbständiges Oeuvre dasteht, sondern auf komplexe Weise mit den Hintergründen seines Denkens verbunden bleibt. Im Essay "Persönliche Anmerkung zu meinen Bildern und Zeichnungen" (1978) sagt er dazu: "Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinem Literarischen Werk, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen. [...] Ich bin kein Maler. Ich male technisch wie ein Kind, aber ich denke nicht wie ein Kind. Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke."

friedrich dürrenmatt prometheus

Bild: Friedrich Dürrenmatt, Prometheus, Menschen formend, ca. 1988, Lithografie auf Papier, 65.5 x 50 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft 
 

Die Problemstellungen des Denkers Dürrenmatt übergreifen viele Disziplinen. Er kennt die Bibel und die griechische Mythologie. Astronomie ist seine lebenslange Passion. Der reife Dürrenmatt ist ein kritischer Denker, der politische Ideologien jeglicher Art hinterfragt.

Die Ausstellung im Schloss Spiez stellt die Bilder Dürrenmatts in den Kontext ihrer geschichtlichen, naturwissenschaftlichen, theologischen und ethischen Bezüge. Leitmotiv ist das Spannungsverhältnis von Mythos und Wissenschaft, das sich in mehreren thematischen Dimensionen des Gesamtwerks aufzeigen lässt.

Die Verbindung von Wissenschaft und Mythologie äussert sich eindrücklich in Dürrenmatts zahlreichen Darstellungen der Figur des Atlas aus der griechischen Mythologie. In diesen Bildern verwendet Dürrenmatt Himmelskörper, die teilweise fast wissenschaftlich minutiös wiedergegeben, teilweise kühn abstrahierend dargestellt sind. Diese Himmelskörper sind mehr als dekorative Stilelemente, sie haben symbolische Bedeutung: Der Atlas trägt das "Weltgebäude", er leidet unter der Last des "Ganzen", er stemmt sich gegen den Zusammenbruch, oft scheitert er daran.

Auch in den Darstellungen des Turmbaus zu Babel verbinden sich in Dürrenmatts Werk Wissenschaft und Mythos. In dieser Bilderserie erinnert der Turm an eine Raumstation; Supernovae und andere Himmelserscheinungen spannen sich über das Firmament. Irdischer Vordergrund und kosmischer Hintergrund stehen in gleichnishafter Beziehung: Grosse Systeme werden instabil, Sterne und Staaten zerfallen, aus Katastrophen kann Neues entstehen.

Die Frage nach einem möglichen Weltuntergang beschäftigt Dürrenmatt zeitlebens. Die Apokalypse ist mehrfach Bildthema. Der späte Dürrenmatt legt den Fokus allerdings weniger auf den christlichen Glauben an die Enthüllung einer transzendenten Wahrheit am Ende der Zeit, als vielmehr auf die fatalen Möglichkeiten der Technik. Der Mensch hat die Möglichkeit der Selbstvernichtung geschaffen, durch die Atombombe, aber auch durch die Explosion der Weltbevölkerung und durch die rücksichtslose Ausbeutung und Vergiftung des Planeten. Die Ökologie warnt vor diesem Ende, aber die Menschheit scheint ausser Stande zu sein, daraus die angemessenen Konsequenzen zu ziehen.

Dürrenmatt erkennt in jeder Katastrophe die Möglichkeit des Übergangs in einen Neuanfang. Das lehrt die Kosmologie: Die Explosion einer Supernova schafft die Bedingungen für die Entstehung von Leben in einem anderen planetarischen System. Der Tod erhält in der Evolutionsgeschichte einen Sinn: Ohne die Einführung des Todes wäre die Evolution auf der Stufe der Amöben stehen geblieben. Diese Einsicht in die Tendenz der Evolution hin zu immer höherer Komplexität verändert in Dürrenmatts Spätwerk auch die Einstellung zum eignen Sterben: Zwar erlebt im Tod jeder Einzelne seinen Weltuntergang, aber die Katastrophe ist nicht das Jüngste Gericht, die Todesangst verliert ihren Schrecken. Wissenschaftliche Neugier ersetzt die christliche Eschatologie.

Im pathetischen Spannungsverhältnis von Mythos und Wissenschaft gibt es für Dürrenmatt auch eine Möglichkeit der Entlastung: Das Lachen. Der Zeichner Dürrenmatt ist ein begnadeter Karikaturist. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, belastende Themen und schwerste Konflikte visuell auf den Punkt zu bringen und dadurch Distanz zu gewinnen. Das "Nachwort zum Nachwort" zum Mitmacher-Komplex schliesst mit den Worten: "Und während ich weiterlaufe, immer weiter, fragt einer plötzlich: Na schön, und wie soll man das Ganze denn spielen? Und ich antworte, während mich die Nacht verschluckt, wie sie alle verschluckte: Mit Humor!"

Prof. Dr. phil. Rudolf Käser, Ausstellungskurator 

Rund um die Ausstellung

Spiezer Tagung '20 - Kosmos Dürrenmatt: 21. / 22. August 2020 / www.spiezertagung.ch

Film im Schloss: Sechs Filmabende im Schlossgraben zu Friedrich Dürrenmatt im Juli 2020

Ausserdem: Uwe Schönbeck liest Dürrenmatt, öffentliche Führungen, Gespräch mit Dürrenmatt-Freund François Loeb und Kunst-Atelier "Ritter und Sterne"

Hinweis zu COVID-19: Informationen zu den definitiven Daten und Durchführung der Veranstaltungen unter www.schloss-spiez.ch

Kontakt:

Barbara Egli
, Leitung Schloss und Museum
Schloss Spiez
Schlossstrasse 16
3700 Spiez

barbara.egli@schloss-spiez.ch

http://www.schloss-spiez.ch

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Bild: Friedrich Dürrenmatt beim Lithografieren, 1988, Foto: © Franziska Messner-Rast 


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