BÜRO DLB - IDEE-REALISATION-KOMMUNIKATION
Daniel Leutenegger, Rathausgasse 18, CH-3011 Bern, www.ch-cultura.ch

BÜRO DLB - IDEE-REALISATION-KOMMUNIKATION
Daniel Leutenegger
Rathausgasse 18
CH-3011 Bern
E-Mail
www.ch-cultura.ch.ch

"DAS LETZTE GEWAND. GRABFUNDE AUS DER HÖHLE ASSI EL-HADATH IM LIBANON"

"DAS LETZTE GEWAND. GRABFUNDE AUS DER HÖHLE ASSI EL-HADATH IM LIBANON"

22.05.2023 Sonderausstellung in der Abegg-Stiftung, Riggisberg, bis am 12. November 2023


Bild oben: Die Mehrzahl der Textilien ist aus ungefärbter Baumwolle gewebt. Schon das Färben der Stoffe und Garne stellte für die Menschen damals einen Luxus dar. Farbige Akzente wurden vor allem durch Stickereien gesetzt. Der Gebrauch von Wolle und Seide blieb auf wenige Einzelstücke beschränkt. | Seidenstickerei auf einer Kindertunika aus Baumwolle; Libanongebirge, 13. Jahrhundert; Direction Générale des Antiquités du Liban, Inv. Nr. 116326

Sie sind alt, gebraucht und geflickt. Genau diese Tatsache jedoch macht die Gewänder und Accessoires in der diesjährigen Sonderausstellung so besonders. Sie erzählen von der Kleiderkultur einer ländlichen Bevölkerung im 13. Jahrhundert und lassen erkennen, welch hohen Wert Textilien für die Menschen damals hatten.

Die neue Sonderausstellung der Abegg-Stiftung präsentiert archäologische Textilien, die libanesische Forscher zwischen 1988 und 1993 bei Ausgrabungen in der Höhle Assi el-Hadath im Libanongebirge entdeckten. Dort waren gegen Ende des 13. Jahrhunderts mehrere Erwachsene und Kinder bestattet worden. Ihre Kleidung hat sich gut erhalten und bietet einen spannenden Einblick in den nachhaltigen Umgang mit dem kostbaren textilen Gut.

Maroniten und die Höhle Assi el-Hadath

Seit dem 10. Jahrhundert ist das Libanongebirge die Heimat der Maroniten, einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die zuvor aufgrund religiöser Verfolgung aus Syrien flüchten musste. Als die Region von den Kreuzrittern erobert wurde, stellte sich die maronitische Bevölkerung unter den Schutz der westlichen Eroberer. Mit der Zurückdrängung der Kreuzfahrer durch die Mamluken im 13. Jahrhundert wurden die Maroniten erneut verfolgt. Arabische Quellen berichten, dass die Bewohner im Zuge der Angriffe auf Hadath, den Sitz des maronitischen Patriarchen, in eine uneinnehmbare Höhle mit einem Brunnen flüchteten.

Eine solch schwer zugängliche Felsgrotte ist die 1988 entdeckte Höhle Assi el-Hadath. Sie liegt etwa 100 km nördlich von Beirut, hoch oben im Libanongebirge. Neben einem gemauerten Brunnen und einem Trog zum Mahlen vom Getreide fanden die Forscher eine Reihe von Gräbern. Ebenfalls zutage kamen Handschriften mit Gesängen und Gebeten, welche die Toten als Christen ausweisen. Es handelt sich also höchstwahrscheinlich um den Fluchtort der Maroniten.

Insgesamt wurden fünf Erwachsene, fünf Kinder und ein Neugeborenes, vollständig bekleidet und in Tücher gewickelt, im hintersten Teil der Höhle bestattet. Aufgrund des trockenen Klimas wurden die Körper der Toten auf natürliche Weise mumifiziert. Die günstigen Bedingungen sorgten ausserdem für die gute Erhaltung der Gewänder.

Abb. aus: Fadi Baroudy u.a., Asi-l-Hadath, Lebanon. History of a Grotto (Phoenix Center for Lebanese Studies, Research, 11), Kaslik 2011

Bild: Die 1988 entdeckte Höhle liegt schwer zugänglich auf einer Höhe von etwa 1300 Metern. Ihr Inneres war für einen längeren Verbleib eingerichtet. Neben einem gemauerten Brunnen besass sie einen Trog zum Mahlen von Korn. Die Toten waren im hintersten Teil der Höhle bestattet. Funde von Handschriften mit Gebeten weisen sie als Christen aus. | Abb. aus: Fadi Baroudy u.a., Asi-l-Hadath, Lebanon. History of a Grotto (Phoenix Center for Lebanese Studies, Research, 11), Kaslik 2011

Fenster in die Vergangenheit

Die Ausstellung ist in sechs Abschnitte gegliedert, die jeweils die textile Ausstattung eines Grabkontextes zeigen. Im Vergleich zu anderen archäologischen Funden ist die gesamte Kleidung, die eine bestattete Person getragen hat, gut dokumentiert. Diese Ausgangslage öffnet ein zeitlich und räumlich eng definiertes Fenster, durch das die Kleiderkultur einer Bevölkerungsgruppe im 13. Jahrhundert erforscht werden kann.

Im Gegensatz zur heutigen Fast-Fashion-Industrie war die Herstellung von Textilien im Mittelalter sehr zeit- und kostenintensiv. Die Langlebigkeit der Kleidungsstücke war damals von zentraler Bedeutung, wovon die zahlreichen Ergänzungen und Reparaturen bis heute zeugen. Anhand dieser textilen Spuren können Rückschlüsse auf den ursprünglichen Gebrauch und die damalige Tragweise gemacht werden. So dienten offenbar die 28 übereinander genähten Stoffstücke auf Kniehöhe der Vorderseite einer blauen Frauentunika als Verstärkung oder Polsterung. Gleichzeitig machen die zahlreichen Ausbesserungen deutlich, dass die Tunika über lange Zeit bei der Arbeit getragen wurde. Diese "letzten Gewänder" wurden also nicht erst für die Bestattung hergestellt, sondern bereits zu Lebzeiten als Alltags- oder Festtagskleidung getragen.

Ausgedient, was kommt danach?

Der sorgfältige und nachhaltige Umgang mit den wertvollen textilen Materialien offenbart sich auch in den ausgestellten Leichentüchern. Oftmals zusammengesetzt aus mehreren Einzelstücken, sind sie das Resultat gelungener Wiederverwendung älterer Stoffe. Hatten nämlich Kleidungsstücke ausgedient, wurden die noch brauchbaren Teile für neue Zwecke umgearbeitet.

In der Ausstellung kann mit Hilfe einer Animation die Rekonstruktion einer Tunika aus den Fragmenten eines Leichentuchs mitverfolgt werden. Auch Gewänder entstanden teilweise aus bereits einmal verwendeten Stoffen. Die Form und Grösse der Schnittteile musste sich an dem ausrichten, was an Material vorhanden war. So besteht beispielsweise der Oberstoff einer Kindertunika aus 19 Teilen von drei verschiedenen Geweben.

Materialien aus nah und fern

Für die Herstellung der Textilien wurden verschiedene Materialien verwendet. Am häufigsten jedoch kam Baumwolle zum Einsatz. Sie musste, ebenso wie Leinen, importiert werden. Als lokaler Rohstoff wurden Bastfasern, beispielsweise von der heimischen Brennnessel, verwendet.

Die Mehrzahl der Stoffe ist ungefärbt. Bereits das Färben der Gewebe und Garne war ein Luxus, den sich nur die wenigsten Leute leisten konnten. Farbige Akzente wurden vor allem durch Stickereien in Seide gesetzt. Das kostbare Material wurde aus dem Osten importiert und vor Ort verarbeitet.

Eine Vitrine mit Textilfragmenten, die keiner der Bestattungen sicher zugeordnet werden konnten, ermöglicht sowohl einen Einblick in die Vielfalt der unterschiedlichen Materialien als auch in die Dekorationsformen und Techniken des 13. Jahrhunderts. Technisch besonders interessant ist die Herstellung eines Zopfbandes. Es gehörte zur Grabausstattung einer erwachsenen Frau. Die Bänder des Zopfes wurden mit einer "Sprang" genannten, uralten Flechttechnik erzeugt. Dabei werden aufgespannte Fäden so miteinander verdreht oder verkreuzt, dass sie ein netzartiges, elastisches Gewebe ergeben. Mit Hilfe kurzer Videosequenzen werden die einzelnen Herstellungsschritte anschaulich vermittelt.

Höhepunkt eines mehrjährigen Projekts

Die Ausstellung bildet den Abschluss eines langjährigen Restaurierungsprojekts der Abegg-Stiftung. Damit das Fortbestehen der Gewänder und Accessoires aus der Höhle Assi el-Hadath auch zukünftig gesichert ist, vertraute die libanesische Generaldirektion für Altertümer 2017 einen Grossteil dieser Textilien der Abegg-Stiftung zur Restaurierung und Konservierung an.

In einem ersten Schritt wurden der Zustand, das Material und die Technik der Funde eingehend untersucht und dokumentiert. Anschliessend wurde für jedes der Stücke die passende Behandlung ausgewählt. Beispielsweise mussten fragile Bereiche mit einem geeigneten Stützgewebe gesichert werden. Für die Gewänder wurden zusätzlich individuelle Unterkonstruktionen hergestellt. Diese verleihen ihnen ein gewisses Volumen und stützen die Stoffe an den gewünschten Stellen. Nach Beendigung der Ausstellung kehren die Textilien mitsamt ihrer Montage zurück in das Nationalmuseum nach Beirut.

Bis es aber so weit ist, ermöglichen die textilen Zeugnisse aus dem Libanon einen einzigartigen Blick in die Vergangenheit. An den ausgestellten Objekten, insbesondere an den vielen Kindergewändern, lässt sich ablesen, wie sorgsam die Menschen mit Stoffen umgingen, wie sie auch kleinere Gewebestücke zu Gewändern verarbeiteten, diese dekorierten und bei Bedarf reparierten.

as

Kontakt:

https://abegg-stiftung.ch/

#AbeggStiftung #DasLetzteGewand #AssiElHadath #AbtiquitésduLiban #CHcultura @CHculturaCH ∆cultura cultura+

Tunika aus Baumwolle mit Seidenstickerei; Libanongebirge, 13. Jahrhundert; Direction Générale des Antiquités du Liban, Inv. Nr. 116369

Bild: Die Grabfunde gehören zum Bedeutendsten, was an archäologischen Zeugnissen der Kreuzfahrerzeit im Libanon erhalten geblieben ist. Die Kleider wurden nicht erst für das Grab hergestellt, sondern bereits zu Lebzeiten als Alltags- oder Festtagstrachten verwendet. Sie bieten daher ein anschauliches Bild von der Kleiderkultur in der damaligen Zeit. | Tunika aus Baumwolle mit Seidenstickerei; Libanongebirge, 13. Jahrhundert; Direction Générale des Antiquités du Liban, Inv. Nr. 116369

 

 

Zurück zur Übersicht