"DAS IMAGINÄRE HAUS: UWE WITTWER, AIKO WATANABE, JÜRG HALTER"
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29.08.2023 Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, bis am 22. Oktober 2023
Bild oben: Jürg Halter, Aiko Watanabe und Uwe Wittwer im Gewerbemuseum Winterthur, "Das imaginäre Haus" - Foto: © Milan Ahmadvand
Bild: Blick in die Ausstellung "Das imaginäre Haus" - Foto: © Milan Ahmadvand
Der Künstler Uwe Wittwer (*1954/CH), die Keramikerin Aiko Watanabe (*1971/JP) und der Schriftsteller und Künstler Jürg Halter (*1980/CH) lassen sich auf einen inspirierenden Austausch ein. Ausgangspunkt ihrer Zusammenarbeit ist der japanische Kultfilm "Ugetsu monogatari – Erzählungen unter dem Regenmond" (JP 1953) von Kenji Mizoguchi über die Geschichte eines Töpfers und seiner Familie aus dem 16. Jahrhundert.
Auf diesem fruchtbaren Boden entwickeln die drei Kunstschaffenden in ihren jeweiligen Disziplinen eine persönliche Vision von Kenji Mizoguchis (1898–1956) Film, der in einer Zeit kriegerischer Unruhen angesiedelt ist und eine Geschichte von Geistern, Krieg, Liebe – und der Töpferei erzählt. So treten die Aquarelle, Digitaldrucke und Kohlezeichnungen von Uwe Wittwer, die Steinzeugobjekte von Aiko Watanabe und die medienübergreifenden Kurzgedichte und Sprachbilder von Jürg Halter in einen kreativen Dialog über ein unbestrittenes Meisterwerk der Filmgeschichte.
Die Bildsprache des japanischen Kultfilms "Ugetsu monogatari – Erzählungen unter dem Regenmond" ist ausgesprochen malerisch – vor allem auch hinsichtlich des Spiels mit Schatten und Hell-Dunkel-Werten. Diese Überschneidungen mit dem eigenen Werk sowie die motivische Nähe gaben Uwe Wittwer den Anstoss zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Film. Als Vorlage dienten ihm Szenen daraus, die er als vage Erinnerungsbilder in neunzig mittelformatige Aquarelle umsetzte und danach in schwarz-weisse Inkjetprints übersetzte. Die Motive basieren auf Stills, die nach einem klar definierten Zeitraster automatisch ausgewählt wurden – Uwe Wittwer liess sich nicht von persönlichen Präferenzen leiten.
In der Ausstellung werden rund fünfzig dieser Inkjets präsentiert, sowie drei grossformatige Kohlezeichnungen und sechs Aquarelle von monumental anmutenden Schalen. Damit schafft der Zürcher Künstler einen rätselhaften und mehrdeutigen Bildkosmos, in dem sich die Motivwelt aufzulösen scheint wie in einem schwer fassbaren Bild aus einer entrückten Vergangenheit.
Bild: Uwe Wittwer: "Ugetsu monogatari Stills", 2014, Aquarell, Thierry Barbier-Mueller's estate, Genf - Foto: Uwe Wittwer Studio
Auch im Gesamtwerk von Uwe Wittwer ist der Gedanke der Bilderinnerung zentral. So etwa, wenn er in seinen unheimlichen und zugleich unheimlich schönen Negativbildern von Altmeisterwerken die Geschichte der Kunst aufleben lässt. Ebenso bedient er sich anonymer Fotos von Stadtansichten, Landschaften, Innenräumen oder auch Kriegsschauplätzen. Und schliesslich ist der Film eine wichtige Referenzquelle für Wittwers Schaffen. Er bearbeitet und verfremdet das vorgefundene Material, verkehrt dieses oft ins Negativ und führt unsere Sehgewohnheiten buchstäblich hinters Licht.
Wittwer geht es immer auch um Fragen nach der Wahrheit des Bildes, und seine Arbeiten besetzen einen Raum irgendwo zwischen Realität und Erinnerung. Daraus resultiert das Abgründige, das Un-Heimliche in vielen seiner Werke, in denen sich die Vorlagen verselbständigen, heimatlos werden und abgelöst vom Original herumgeistern.
Die japanische Keramikerin Aiko Watanabe liess sich für das gemeinsame Ausstellungsprojekt von der Landschaft rund um den japanischen Biwa-See inspirieren, dem Schauplatz von "Ugetsu monogatari".
Während Uwe Wittwers Bilder einzelne Szenen aus dem Film evozieren, beziehen sich Aiko Watanabes Arbeiten eher indirekt auf das filmische Werk. Keramische Objekte mit Titeln wie "See", "Berg", "Kieselweg" oder "Bambuswald", verschiedene Gruppen von Gefässen in Form von Krügen und Töpfen oder eine Reihe von Samurai-Helmen fungieren im Ausstellungskontext wie eine Hintergrundlandschaft oder eine leise Geräuschkulisse.
Watanabe ist der rauen Keramik von Shigaraki und Iga verpflichtet und führt eine Tradition fort, wie sie auch in Mizoguchis Film stellvertretend für die japanische Keramikkunst steht.
Bild: Aiko Watanabe: "At Mountain", 2020, Steinzeug - Foto: Yasuhiro Ookawa
Nach einem Kunststudium entdeckte Watanabe ihre Begeisterung für die Keramik, begann die alten Techniken des Holzofenbrands zu studieren und baute 2001 ihren eigenen Ofen, der – wie im Film – mit Holz befeuert und rund 1400 Grad heiss wird. Die Quereinsteigerin Aiko Watanabe ist in Japan, wo das Kunsthandwerk stark von spezialisierten Familien dominiert wird, eine Ausnahmeerscheinung. In der Regel werden die Techniken von Generation zu Generation oder auch in einem rigiden System von Meister und Schüler weitergegeben. Bei aller Freiheit, die sich die Autodidaktin erlaubt, fühlt sie sich in der Tradition verwurzelt und orientiert sich am klassischen Formenkanon. Watanabe zählt zu den ganz wenigen Töpferinnen in Japan, die mit einem Holzbrandofen arbeiten. Die Gründe dafür sind historisch bedingt. Früher wurden Frauen von diesem Beruf ferngehalten, weil man glaubte, sie würden die Feuergötter erzürnen.
Bild: Blick in die Ausstellung "Das imaginäre Haus" - Foto: Milad Ahmadvand
Mit projizierten, bildnerisch umgesetzten und gesprochenen Texten hat der Schweizer Schriftsteller, Spoken Word Artist und bildnerische Künstler Jürg Halter einen sprachpoetischen Rahmen für das Ausstellungsprojekt geschaffen. Im Dialog mit den Werken Wittwers und Watanabes erzeugen die kurzen, haikuartigen Kurzgedichte ein neues Bild in den Köpfen der Besucherinnen und Besucher – und betreiben mit Andeutungen, Fragmenten, Kommentaren und Weitererzählungen ein subtiles Spiel rund um die Geschichte des Töpfers.
Jürg Halter gehört zu den bekanntesten Schweizer Autoren seiner Generation und zu den Pionieren der neuen deutschen Spoken-Word-Bewegung. Nebst anderen Publikationen erschien 2012 "Sprechendes Wasser" (Secessions Verlag für Literatur), ein Kettengedicht, das Halter zusammen mit dem japanischen Dichter Tanikawa Shuntarō (*1931) geschrieben hat. 2016 folgte von den gleichen zwei Autoren "Das 48-Stunden-Gedicht» (Wallstein Verlag). Der Roman "Erwachen im 21. Jahrhundert" (Zytglogge, 2018) und der Gedichtband "Gemeinsame Sprache" (Dörlemann, 2021) sind Jürg Halters neueste Publikationen.
Jürg Halters erste Solo-Ausstellung "Fuck Slogans" fand im Herbst 2022 in der Galerie Stephan Witschi in Zürich statt.
Jürg Halters Sprachbilder in der Ausstellung oszillieren zwischen eindeutig und schlicht sowie mehrdeutig und sich dem unmittelbaren Zugang entziehend. Dabei geht Jürg Halter auch in poetisch-malerischer Weise Fragen nach wie "Was ist das Eigene im Fremden?", "Wann schlägt Menschlichkeit in Unmenschlichkeit um?" oder "Ist in der Kunst Trost zu finden?"
Eine Teeschale in ihren Händen
ist alles, woran sie sich
an diesem Novembermorgen hält
The samurai of your dreams,
hundreds of years later
he comes true – where are you?
Durchs Schilf geht ein schwacher Wind,
auseinandertreibende Wolken am Himmel,
eine Gruppe Menschen erscheint, uneins
Ein Haus nie mehr zu verlassen,
wie fühlt sich das an?
Schau aus dem Fenster
Nebel überm Wasser,
ein verlassenes Boot
treibt Richtung Mond
Vor dem Brennofen erwartet eine Frau
mit geschlossenen Augen,
ihre Träume gebrannt zu sehen
Die Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur ist eine Kooperation mit dem Musée Ariana in Genf.
gmw
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