"CARRIE MAE WEEMS. THE EVIDENCE OF THINGS NOT SEEN"
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02.11.2023 Ausstellung im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, bis am 7. April 2024
Bild oben: Portrait of Carrie Mae Weems © Rolex_Audoin Desforges
Mit "The Evidence of Things Not Seen" zeigt das Kunstmuseum Basel eine breit angelegte Werkschau der US-amerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems (*1953, Portland, Oregon). Weems zählt zu den einflussreichsten zeitgenössischen KünstlerInnen. Ihre vielseitigen Fotoserien, Videos und Installationen der letzten 35 Jahre entfalten eine ästhetische und politische Wirkung weit über die Kunstwelt hinaus.
Carrie Mae Weems lädt mit ihren Werken zur Erkundung blinder Flecken der (zeitgenössischen) Geschichte ein. Der Titel ihrer ersten Ausstellung in der Schweiz steht für die Geschichte der Gewalt gegen Schwarze und indigene Menschen und für die Präsenz dessen, was missachtet oder nicht gezeigt wird.
Weems tritt in vielen ihrer Werke selbst auf und führt uns zu vergessenen Momenten der Geschichte, deren Einfluss aber noch heute die Gesellschaft prägt. Die Künstlerin erforscht vorherrschende historische Narrative und zeigt auf, wie diese von Politik, Wissenschaft, Kunst, Massenmedien, Fotografie und Architektur produziert und reproduziert werden.
Ihre Präsenz als Zeugin ermöglicht es Weems, zugleich Subjekt und Objekt, sowohl Regisseurin als auch Darstellerin ihrer Werke zu sein. Und egal, ob sie an Orten voller Bedeutung arbeitet oder historische Momente neu inszeniert: Im Fokus steht immer, wie die Geschichte marginalisierter Gruppen geframet wurde und wird. Rassismus in all seinen Erscheinungsformen und Auswüchsen sowie Systeme, die das unterstützen, sind zentrale Themen in Weems' Wirken.
Bild: The Hampton Project, Hauptdatensatz (30 Teile), Carrie Mae Weems, c-prints on muslin or canvas, Objekt-ID: 71868 - Copyright: © bei der Künstlerin / the artist - Creditline: Courtesy the Artist, Jack Shainman Gallery and Galerie Barbara Thumm - Photo Credit: Julian Salinas
Weems setzt sich viel mit dominanten Machtstrukturen und Formen sozialer Segregation auseinander; etwa in der Fotoinstallation "The Hampton Project" (2000) über die Anstrengungen der Weissem, andere Kulturen in den USA umzuerziehen. "Museum Series" und "Roaming" (beide 2006) beleuchten dagegen die ausgrenzenden Eigenschaften kultureller und historischer Monumente.
Eine Reihe von Werken greift die Polizeigewalt gegen AfroamerikanerInnen in den USA auf. Als Gegengewicht zur langen Historie von Gewalt gegen People of Color setzt Weems die ebenso lange und bewegte Geschichte des Widerstands in Szene. Motive von Flucht, Trauer, Erinnerung und Protest werden dabei zu sensiblen Manifesten gegen das Vergessen. "And 22 Million Very Tired and Very Angry People" (1989-90) versieht Alltagsgegenstände mit Bildunterschriften, die auf ihre potenzielle Verwendung als Werkzeug für eine Revolution hinweisen. Die Fotoserie soll durchaus als poetische Anleitung zur kollektiven Rebellion gegen Unterdrückung gelesen werden.
In der Installation "Land of Broken Dreams: A Case Study" (2021) betreten Besuchende ein Wohnzimmer voller Memorabilien der Black Panther Party, der 1966 gegründeten militanten Black Power Organisation. Mit dem Einbezug historischer Magazine und Fotografien, die die rassistische Gewalt der 1960er- und 1970er-Jahre dokumentieren, zeigt das Werk, wie zeitlos diese Probleme sind. Aktuelle Auswirkungen von systemischem Rassismus veranschaulichen die mit Brettern vernagelten, teils mehrfach übermalten Häuserfassaden in der Arbeit "Painting the Town" (2021). Die Serie entstand in Weems’ Geburtsstadt Portland, Oregon. Die Stadt war ein Zentrum der "Black Lives Matter"-Proteste, bei denen es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Seit den Anfängen ihrer Karriere lenkt Weems die Aufmerksamkeit aber auch auf Schönheit, Rituale, Magie und Spiritualität. Dazu inszeniert sie Einblicke in das Privatleben, die allgemeine gesellschaftliche Bedeutung haben. Exemplarisch dafür steht "The Kitchen Table Series" (1990). Die emotional komplexe Erzählung über das Leben einer Schwarzen Frau in der intimen Umgebung ihrer Küche gilt als ikonisches Werk der westlichen Fotografie- und Kunstgeschichte. In der Basler Ausstellung ist ihr ein eigener Raum gewidmet.
Die Ambivalenzen der Populärkultur sind ein weiteres Themenfeld für Weems. In "The Louisiana Project: Missing Link" (2003) und "Lincoln, Lonnie, and Me – A Story in Five Parts" (2012) bedient sich Weems den verführenden Stilmitteln von Karneval und Varieté. Sie schlüpft in traditionelle Rollen, Masken und Kostüme und schöpft mit ihrer lustvoll zelebrierten Inszenierung das volle Hingucker-Potenzial aus, um die Rassifizierung der dargestellten Charaktere aufzudecken. In "Scenes and Takes" (2016) spaziert die Künstlerin – gekleidet in schwarz – durch die Kulissen erfolgreicher TV-Serien wie "Great Expectations". Serien wie diese stehen für einen Umbruch in der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie: Nicht nur wurden die Hauptrollen mit Schwarzen SchauspielerInnen besetzt, die Serien wurden auch von Schwarzen DrehbuchautorInnen geschrieben und von Schwarzen ProduzentInnen entwickelt.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel basiert auf den Ausstellungen "The Evidence of Things Not Seen", Württembergischer Kunstverein Stuttgart (2.4. bis 21.8.2022), "A Great Turn in The Possible", Fundación MAPFRE und Fundación Foto Colectania, Barcelona (5.10.2022 bis 15.1.2023) und "Reflections for Now", Barbican Centre, London (22.6. bis 3.9.2023).
Der Titel der Ausstellung "The Evidence of Things Not Seen" ist dem gleichnamigen Buch des afroamerikanischen Aktivisten und Schriftstellers James Baldwin entlehnt. Es thematisiert die Ermordung von 30 Schwarzen Kindern und Jugendlichen in Atlanta zu Beginn der 1980er-Jahre – und die Ignoranz der Behörden diesen Taten gegenüber.
Biografische Angaben
Carrie Mae Weems wurde 1953 in Portland, Oregon, geboren. Nach einer Tanzausbildung studierte sie Fotografie und Folklore Studies an der University of California, Berkeley. Anfang der 1980er-Jahre wurde sie bekannt durch fotografische Arbeiten, welche die Darstellung Schwarzer Menschen und People of Color hinterfragten, darunter "The Kitchen Table Series" (1990). Als erste afroamerikanische Künstlerin präsentierte Weems 2014 eine Einzelausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum, New York.
Weems’ Werke werden in den USA seit den 1990er-Jahren regelmässig ausgestellt. Renommierte Institutionen wie das Museum of Modern Art, New York, die National Gallery of Art, Washington, D.C., die Tate Britain, London, das Museum Ludwig, Köln und der Hamburger Bahnhof, Berlin, haben ihre Werke für ihre Sammlungen erworben.
Weems wurde 2022 mit dem Bernd und Hilla Becher Preis der Stadt Düsseldorf und 2023 mit dem renommierten Hasselblad Award der Hasselblad Foundation in Göteborg ausgezeichnet.
Publikation
Mit Carrie Mae Weems. Reflections for Now widmet sich erstmals eine Publikation den Schriften von Carrie Mae Weems. Der Katalog umfasst ausgewählte Texte, Interviews und Fotografien der Künstlerin. Die Publikation entstand im Hatje Cantz Verlag in enger Zusammenarbeit mit dem Barbican Centre, London.
ISBN 978-3-7757-5555-9
Kuratorinnen: Maja Wismer mit Alice Wilke
kmb
Kontakt:
https://kunstmuseumbasel.ch/de/ausstellungen/2023/carrie-mae-weems
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Titel: Untitled (Eating Lobster), Zusatztitel: The Kitchen Table Series, Carrie Mae Weems, 1990/1999, Silver gelatin print, 104.7 x 104.7 x 5.7 cm, Objekt-ID: 70874, Creditline: © Carrie Mae Weems. Courtesy of the artist, Jack Shainman Gallery, New York and Galerie Barbara Thumm, Berlin