"BRICOLAGE // WILD – EXOTIC – DIFFERENT"
01.09.2019 Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum (HVM) St.Gallen, bis am 1. März 2020
Bilder: © https://hvmsg.ch/dateien/ausstellungen/Wildexotic2019/pressebilder/index.php
Zeitgenössische Kunst trifft auf Ethnologie - und das alles im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen: Die Ostschweizer Kunstschaffenden Brigit Edelmann, Stefan Rohner und Andy Storchenegger befassen sich in der Ausstellung "Bricolage // wild-exotic-different" mit der Dialektik von Kunst und Ethnologie in verschiedenen Kulturen. Das HVM ermöglicht mit dieser Ausstellung neue, überraschende Zugänge zu seinen eigenen Sammlungen und Themen.
Die drei Kunstschaffenden thematisieren die Zusammenhänge von Kultur und Natur. Sie loten Begriffe wie Grenze, Heimat oder Identität aus und suchen nach dem Wilden in verschiedenen Gesellschaften. Zu sehen ist das alles im Ausstellungssaal Parterre-Südost des HVM.
Dazu kommen Interventionen in der Dauerausstellung "Welten sammeln", die an diesen Saal anschliesst, und im Geäst der mächtigen Platane, die bei der Südseite des Museums steht.
Die Ausstellung ist multimedial; zum
Einsatz kommen Malereien, Sound-Installationen, Fotografie und Film. Die
einzelnen Kunst-Positionen entstanden autonom, wurden jedoch gemeinsam
diskutiert, mit dem Ausstellungskonzept als Resultat. Alle drei KünstlerInnen
haben bereits Kunst-Projekte in verschiedenen Konstellationen umgesetzt. Das
Arbeiten, Konzipieren und Kuratieren in Teams spielt in ihrem Schaffen zum Teil
eine wesentliche Rolle.
Die Museumsbesucher als "Bastler"
"Bricolage" ist ein Begriff, den der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss 1962 in die Anthropologie eingeführt hat. Er kommt vom französischen "bricoler", was herumbasteln und zusammenfummeln bedeutet. Lévi-Strauss bezeichnet mit "Bricolage" ein Verhalten, bei dem der Akteur (Bricoleur) mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen Probleme löst, statt sich besondere, speziell für das Problem entworfene Mittel zu beschaffen.
Brigit Edelmann, Stefan Rohner und Andy Storchenegger beabsichtigen mit der Ausstellung nicht, kulturelle Probleme zu lösen oder dem Publikum vorgefertigte Rezepte zu verabreichen. Ganz im Sinne von Lévi-Strauss möchten sie das Publikum zur Bricolage anregen. Ihre Arbeit besteht nicht im klassischen Sinne aus einer Recherche-, Konzept-, Produktions- und Präsentations-Phase. Das Leitelement aller Projekt-Phasen bleibt die Recherche: "Unsere Ausstellung heisst das Publikum zu einer Recherche-Reise willkommen. Die Besucher agieren als Bricoleurs - wie wir selber."
Wenn Welten aufeinanderprallen
Brigit Edelmann macht in der Ausstellung die Gleichzeitigkeit von Orten und Kulturen als Gegen- oder Ruhepol zum heutigen Reisen und rastlosen Fernweh unmittelbar erfahrbar. Vor allem mit Sound-Installationen rüttelt sie an Fragen nach Heimat und Identität. Mit dem englischen Begriff "liminal" bezeichnet sie ihre Arbeiten, welche eine Orientierung in den Strukturen von Zwischenräumen untersuchen. "Liminals" können als "bewegte Schwellenzustände" übersetzt werden. Mittels Fotografien und Videos werden unsichtbare Grenzen sichtbar. Bei ihren Installationen bedingt der thematische Kontext das Material. Brigit Edelmann untersucht Resonanzen und Dissonanzen in verschiedenen Klang- und Kommunikationsformen, denn Ur-Laute wecken ihr Interesse. Sie spürt den unscheinbaren Unterschieden in Kulturen und Gesellschaften nach. Wer konstruiert Welt und was passiert, wenn unterschiedliche Welten aufeinanderprallen?
Feldforschung in Museen
Stefan Rohner wählt oft das intuitive Vorgehen. Es spielt in seiner künstlerischen Praxis eine zentrale Rolle. Er arbeitet mit praktisch allen möglichen Medien. Oft beginnt er mit Fotografien aus Büchern und lässt sich von Mustern, Strukturen und Ornamenten leiten, die er in den Bildern vorfindet. Oder er betreibt Feldforschung in Museen, fotografiert in Depots, in Ausstellungen und in diversen historischen Museen und bearbeitet auch diese Bilder analog mit verschiedenen Techniken. Er setzt die Muster bei der Übermalung derselben Bilder so ein, dass zunächst hintergründige Strukturen plötzlich lebendig werden und dem Bild bzw. der Installation neue räumliche Dimensionen eröffnen.
Das Wilde und Urtümliche
Andy Storchenegger befasste sich lange mit dem kollektiven Phänomen der Paradiesvorstellung. Recherchen führten ihn mehrere Male in die Südsee und nach Afrika. Er verbrachte dort längere Zeit im Inselstaat Tonga und Tuvalu. Dabei faszinierten ihn die letzten archaischen Bräuche der Inselbewohner. Zurück in der Schweiz begann er nach dem Wilden und Urtümlichen in unsere Gesellschaft zu suchen. In der Maske fand er eine Verbildlichung des Wilden und Ungezügelten. Es interessiert ihn, warum viele heidnische Bräuche in der Schweiz erhalten geblieben sind und warum sie so sorgfältig gepflegt werden, welche Rolle sie heute noch spielen - mit Fokus auch auf andere Kulturen. Daraus entstanden eine grosse Fotorecherche und eigene Maskenserien. In seinen neuen Arbeiten, die er im HVM zeigt, setzt er sich mit der eigenen und mit fremden Kulturen auseinander, denen er hier und auf Reisen begegnet.
Rahmenprogramm, Website, Begleitpublikation
Vertiefende Begegnungen mit den Themen der Ausstellung bietet ein reichhaltiges Rahmenprogramm, das "Fluidarium". "Es schafft die Plattform für performative und ephemere Beiträge sowie für das Erleben und Erfahren in der Gemeinschaft, was wichtige Merkmale indigener und nicht-europäischer Kulturen sind", sagen die drei Kunstschaffenden. Besonders hingewiesen sei hier auf den Vortrag von Rea Brändle über Völkerschauen in St.Gallen (18. September), die postkoloniale Debatte mit Richard Butz, Hans Fässler und Charles Uzor (9. Februar) und das Konzert mit Mohamed Lamouri im Palace in St.Gallen - der aus Algerien stammende, sehbehinderte Musiker wurde in der Pariser U-Bahn bekannt (13. September).
Zum Rahmenprogramm gehören aber auch die Homepage www.wild-exotic-different.art und eine Ausstellung im Kulturzentrum Gasometer in Triesen (FL). Und damit vom ganzen Projekt auch etwas für später festgehalten ist, haben die drei Kunstschaffenden in der Edition Clandestin in Biel eine Begleitpublikation herausgegeben, für die sie namhafte Mitautoren finden konnten, unter ihnen die Ethnologen Nigel Barley und David Signer und der Schriftsteller Tim Krohn und der freie Kurator Damian Christinger (CHF 48.-, Vorzugsausgabe CHF 180.-).
hvm
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