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"BETTINA POUSTTCHI. PROGRESSIONS"

"BETTINA POUSTTCHI. PROGRESSIONS"

06.02.2024 Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv, Zürich, vom 8. Februar bis am 5. Mai 2024 - Vernissage: 7. Februar 2024, 18 bis 21 Uhr


Bild oben: Bettina Pousttchi - Foto: Norman Konrad

Bild: Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progression 05, 2023, Leitplanken, Stahl | Crash barriers, steel - Foto: Jens Ziehe, Courtesy die Künstlerin und | the artist and Buchmann Galerie

Bild: Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progression 05, 2023, Leitplanken, Stahl | Crash barriers, steel - Foto: Jens Ziehe, Courtesy die Künstlerin und | the artist and Buchmann Galerie

Das Museum Haus Konstruktiv eröffnet das Ausstellungsjahr mit einer Einzelschau von Bettina Pousttchi (geb. 1971 in Mainz, DE). Gezeigt werden Skulpturen, fotografische Arbeiten und Wandobjekte. Die Ausstellung ermöglicht einen tiefen Einblick in das vielschichtige Schaffen dieser Künstlerin, die vor allem mit ortsspezifischen, monumentalen Fassadeninstallationen im öffentlichen Raum Bekanntheit erlangte.

Der überwiegende Teil der präsentierten Werke ist eigens für die Ausstellung entstanden. In unterschiedlichen formalen Setzungen betonen sie das Prozesshafte und Fluide und reflektieren gesellschaftliche Veränderungen.

Bettina Pousttchi entwickelt ihre Skulpturen für Innen- sowie Aussenräume und nimmt mit ihnen Bezug auf die architektonischen, sozialen und kulturellen Implikationen des jeweiligen Settings. Bereits seit einigen Jahren greift sie dafür auf Objekte zurück, die den öffentlichen Raum strukturieren und die körperliche Erfahrung des Stadtraums prägen, darunter Leitplanken, Absperrgitter, Fahrrad- und Baumschutzbügel.

Durch Massnahmen wie Biegen oder Pressen sowie farbliche Neugestaltungen enthebt Pousttchi die Alltagsobjekte ihrer regulativen Funktion und löst sie aus ihrem Sinnzusammenhang, wodurch sie zu Zeichen von Veränderung, fluiden Strukturen und sich auflösenden Grenzen werden. Mit der seriellen Verwendung des Ausgangsmaterials schliesst die Künstlerin konzeptuell an die Minimal Art an, und auch an Marcel Duchamps Readymades mag man sich beim Anblick mancher Objekte erinnert fühlen.

Das skulpturale Werk steht im Zentrum von Pousttchis Ausstellung im Haus Konstruktiv: Arbeiten aus Stahl, Keramik und mit Licht. Es wird ergänzt durch neue Fotoarbeiten, die im facettenreichen Schaffen dieser international renommierten Künstlerin ebenfalls eine wichtige Rolle einnehmen.

Den Auftakt der Schau in der grossen Halle im Erdgeschoss des Museums bilden die raumgreifenden Skulpturen der Serie Vertical Highways; aufgerichtete Leitplanken in kräftiger Farbgebung, die mechanisch so verbogen, gestaucht und ineinander verkeilt wurden, dass die abstrakten Formen im Raum wie übergrosse tanzende Figuren wirken.

Einige Objekte tragen Zusatztitel wie A28 oder A33. Es sind Bezeichnungen für deutsche Autobahnen, die den ursprünglichen Verwendungszweck des Materials aufblitzen lassen. Eine Weiterentwicklung dieser Serie stellen die neuen Skulpturen Progressions dar, die erstmals in einem Museum präsentiert werden und der Ausstellung ihren Namen leihen. Die unterschiedlich hohen Leitplanken sind linear aufsteigend angeordnet, wodurch sich der Bewegungseindruck verstärkt, ein für den skulpturalen Ansatz der Künstlerin charakteristischer Aspekt. Das Farbspektrum dieser Arbeiten reicht von kräftigem Rot und Gelb, das an Signalfarben von Verkehrsschildern erinnert, bis zu neutraleren Tönen wie Anthrazit und Elfenbein.

Die Serie Directions in den Kabinetten im dritten Obergeschoss zeigt eine weitere Facette in der Beschäftigung der Künstlerin mit Ordnungsstrukturen des öffentlichen Raums. Pousttchi entwickelte dafür Bildvorlagen, die sie aus Stahl schneiden und farbig beschichten liess. Inspiriert sind die scharfkantigen Cut-outs von Strassenpfeilen, und tatsächlich scheinen sie das Publikum wie Wegweiser in die Räumlichkeiten zu leiten. Die Objekte oszillieren zwischen Kunst und Signaletik, wobei in der realen Welt wohl kaum je derart viele Wegweiser auf engstem Raum zu finden sind. So viele gangbare Richtungen, so viele Möglichkeiten.

Im ersten Obergeschoss kommen Skulpturen aus verschiedenen Werkgruppen seit den frühen 2010er-Jahren zusammen. Die drei weiss beschichteten Double Monuments for Flavin and Tatlin bestehen aus meterhoch zu Türmen gestapelten und mit Leuchtstoffröhren versehenen Absperrgittern. Wie der Werktitel erahnen lässt, beziehen sich die imposanten und dennoch erstaunlich filigranen Strukturen auf zwei ikonische Kunstwerke des 20. Jahrhunderts: zum einen auf das utopische Architekturmodell Monument für die Dritte Internationale des Konstruktivisten Wladimir Tatlin von 1920 und zum anderen auf die berühmten Lichtarbeiten von Dan Flavin aus den 1960er-Jahren. Letzterer hat mit der Serie "monuments" for V. Tatlin dem wichtigen Vertreter der russischen Avantgarde seinerseits bereits ein Denkmal gesetzt; eine künstlerische Setzung, die Pousttchi aufgreift und weiterführt, indem sie ihrem Kunstwerk eine zusätzliche Referenzebene gibt: Während Flavin seine Leuchtstoffröhren zumeist symmetrisch anordnete, sind Pousttchis Monumente künstlerisch freiere Interpretationen. Die Kräfte, die auf die Gitter eingewirkt haben, sind deutlich zu erkennen.

Die veränderten Formen und die einzeln positionierten Leuchtmittel erscheinen wie Verfremdungseffekte, wie ein fragender Beitrag zum immer lauter werdenden Diskurs darüber, welche Denkmäler heute noch eine Daseinsberechtigung im öffentlichen Raum besitzen. In diesem Sinne erinnern Pousttchis Skulpturen nicht nur, sondern sie regen auch dazu an, über die Aufgabe von Denkmälern in unserer Erinnerungskultur zu reflektieren.

Ergänzt werden die Double Monuments durch weitere Skulpturen aus Strassenobjekten. Drei davon sind aus verformten, sich in dynamischer Bewegung umschlingenden Baumschutzbügeln gefertigt. Die Formen sind weich und fliessend, genauso wie ihre Farbgebung in fein nuancierten Grüntönen. Verstärkt durch die ansprechenden, auf Berliner Strassennamen zurückgehenden Titel John, Marie und David (2018–2019), entfalten sie eine eindrucksvoll anthropomorphe Wirkung – ähnlich wie die tanzenden Leitplanken im Erdgeschoss. Etwas ambivalenter wirkt Felix (2018) aus ineinander verkeilten Fahrradbügeln. Mit seiner Oberfläche aus hochpoliertem Edelstahl zieht das Objekt die Blicke auf sich, verschmilzt aber aufgrund der Spiegelungen zugleich optisch mit dem Umraum. Als scharfsinnige Beobachterin ihrer Umwelt kommentiert die Künstlerin mit dieser und den anderen hier präsentierten Objekten die rasanten Veränderungen des urbanen Raums.

Abgeschlossen wird die Präsentation in diesem Raum von einer Reihe Keramikarbeiten (Earthworks, 2023), die den Architekturbezug im Werk der Künstlerin verdeutlicht. Die einzelnen, handgefertigten Module aus gebranntem Ton erinnern an Baukeramik – und nicht zuletzt ist Ton als Naturmaterial einer der ältesten Baustoffe der Geschichte.

Pousttchi kombiniert jeweils zwei der länglich-konvexen Gebilde, und zwar so, dass  die scharfkantigen Längsseiten einander zugewandt sind, während die abgerundeten Seiten die neue Form nach aussen hin abschliessen. Die nun silbern und blau glasierten Wandreliefs bewegen sich zwischen Zwei- und Dreidimensionalität und setzen ein modulares Prinzip fort, das viele Arbeiten der Künstlerin kennzeichnet.

In der Säulenhalle im dritten Obergeschoss wird erstmals die neueste Werkserie der Künstlerin mit dem Titel Horizons (2024) präsentiert, eine Kombination aus Fotografie und Malerei. Die Leinwände sind in hellen Blau-, Gelb- und Violetttönen per Hand und mit deutlichem Pinselduktus grundiert und anschliessend im Siebdruckverfahren bedruckt worden. Die abstrakten Motive gehen auf die vielbeachtete Fotoinstallation Echo zurück, für die die Künstlerin 2009/2010 die Fassade der Temporären Kunsthalle Berlin mit einer digital erzeugten, auf Papierposter gedruckten Fotomontage des kurz zuvor abgerissenen Palasts der Republik plakatierte. In einer beeindruckenden Verbindung von Fotografie und Architektur befragte sie den Umgang mit dem urbanen Raum, mit Geschichte und Erinnerung. In den Folgejahren realisierte sie eine Vielzahl grossformatiger Installationen, die das traditionelle Verständnis von Fotografie erweiterte, und vertiefte ihr Interesse an Fragen nach deren Materialität im digitalen Zeitalter.

Für Horizons hat Pousttchi Ausschnitte der Papierplakate, die sechs Monate im Berliner Stadtraum hingen, abfotografiert. Das ursprüngliche Motiv wird überlagert von den Witterungsspuren, die durch die während der Wintermonate einwirkenden Naturkräfte entstanden. So sind die Fotografien auf mehreren Ebenen Spuren des Realen sowie Speicher von Zeitlichkeit und Erinnerung – ein zentrales Thema des Mediums Fotografie und im Werk der Künstlerin.

Die Arbeit Shanghai Window (2023) beruht auf Fotografien, die Pousttchi von Architekturelementen aus der internationalen Art-déco-Bewegung gemacht hat. Digital zu einem eigenen Muster weiterentwickelt, wurde die ornamentale Struktur aus netzartigen Linien kürzlich für ein Ausstellungsprojekt der Künstlerin in Shanghai auf eine Fensterfläche im Stadtraum appliziert. Die hybriden Formen – Pousttchi selbst nennt sie "transnationale Muster", da sie das architektonische Formenvokabular unterschiedlicher Kulturräume miteinander verbinden – eröffnen Bezüge zur Architekturgeschichte der chinesischen Metropole, die im Zuge der Öffnung des Kaiserreichs Mitte des 19. Jahrhunderts vom europäischen Art déco beeinflusst wurde. Der graduelle Farbverlauf des Prints von Gelb zu Orange zu Braun imitiert derweil den natürlichen Verlauf der Sonne im Laufe eines Tages. Auf mehreren Ebenen geht Pousttchi mit dieser Arbeit den fluiden Grenzen zwischen Kulturen nach.

Bettina Pousttchi studierte an der Kunstakademie in Düsseldorf und absolvierte das Whitney Independent Study Program in New York. Sie lebt in Berlin. Pousttchi hat zahlreiche institutionelle Einzelausstellungen weltweit realisiert, darunter Constellations, Museum of Contemporary Art Shanghai (2023); World Time Clock, Aurora Museum, Shanghai (2023); Fluidity, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen (2021); In Recent Years, Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, Berlin (2019); Panorama, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin (2019), Protection, Kunstmuseum St.Gallen (2018); Suspended Mies, Arts Club of Chicago (2017); World Time Clock, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington D.C. (2016/2017); Double Monuments, Phillips Collection Washington D.C. (2016); Drive Thru Museum, Nasher Sculpture Center, Dallas (2014); Framework, Schirn Kunsthalle Frankfurt (2012); World Time Clock, Kunsthalle Basel (2011); Echo, Temporäre Kunsthalle Berlin (2009/2010).

In den Sommern 2022/2023 präsentierte die Bundeskunsthalle Bonn The Curve, eine grossformatige interaktive Installation von Bettina Pousttchi auf dem Dach des Museums. Eine über sechs Meter hohe Skulptur aus der Serie Vertical Highways ist seit April 2023 am Hauptbahnhof Berlin dauerhaft installiert.

Kuratiert von Sabine Schaschl

mhk

Kontakt:

https://www.hauskonstruktiv.ch/

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Auf ch-cultura.ch u.a. erschienen:

https://www.ch-cultura.ch/de/archiv/museum-ausstellung-galerie/bettina-pousttchi-protection 

Bild: Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progression 01, 2023, Leitplanken, Stahl (Detail) | Crash barriers, steel (detail), 245 (h) x 364 x 92 cm - Foto: Roman März, Courtesy die Künstlerin und | the artist and Buchmann Galerie

Bild: Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progression 01, 2023, Leitplanken, Stahl (Detail) | Crash barriers, steel (detail), 245 (h) x 364 x 92 cm - Foto: Roman März, Courtesy die Künstlerin und | the artist and Buchmann Galerie

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