"AMY SILLMAN. OH, CLOCK!"
19.09.2024 Ausstellung im Kunstmuseum Bern, vom 20. September 2024 bis am 2. Februar 2025. Vernissage: 19. September 2024, 18.30 Uhr
Bild: Amy Sillman, oh, Clock, 2023, Acryl und Öl auf Leinen, 149,9 × 139,7 cm - Foto: David Regen, Collection of Andrea Olshan, Courtesy of the artist
Amy Sillman ist eine wichtige Stimme der zeitgenössischen Malerei. Das Kunstmuseum Bern zeigt die erste gross angelegte institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin in Europa. Sillmans kraftvolle und anspielungsreiche künstlerische Sprache bezieht sich immer wieder auf die Malereigeschichte. In ihre Präsentation in Bern geht sie auf Werke aus der Sammlung des Kunstmuseum Bern ein.
Die US-Amerikanische Malerin Amy Sillman (*1955) hat ihr Medium seit den 1990er-Jahren beständig befragt. Ihre Arbeiten umfassen Zeichnungen, Drucke, Texte sowie Objekte und Animationen. Die völlige Hingabe an Verfahren der Transformation, der Umkehrung, der Neugestaltung und der Überprüfung ist charakteristisch für Sillmans malerische Erkundungen.
Ihre schnellen seriellen Zeichnungen und viellagigen Malereien bewegen sich gekonnt zwischen Abstraktion und Figuration – mal sind sie vielfarbig, mal monochrom, mal zeigen sie komplexe Formen, mal Figuren oder Körperteile. Und immer sind sie voller Lust an der Malerei.
«Wir würden sterben, wenn wir keinen Humor mehr hätten. Das wäre die
totale Unterwerfung.»
Amy Sillman
Bilder × Worte
1975 zog Amy Sillman nach New York, um inspiriert von längeren Reisen durch Japan und die USA Japanologie zu studieren. Seit jeher fasziniert von Sprache belegte sie Kurse in Kalligrafie mit dem Wunsch, später Publizistin oder Übersetzerin zu werden. In diesem Kontext entdeckte sie erstmals ihre Leidenschaft für das Zusammenspiel von Wort und Bild, Abstraktion und Figuration. Angetrieben von dieser Begeisterung wechselte sie Ende der 1970er-Jahre an die School of Visual Arts New York, um Illustration zu studieren. Gleichgesinnte fand sie aber schnell in der Malerei. Die künstlerische Szene New Yorks dieser Jahre prägte sie massgeblich.
Ihren Hintergrund in der Illustration und die Affinität für Sprache und Schrift sind ihr bis heute nicht nur erhalten geblieben, sondern integraler Teil ihrer Kunst. Ihre Arbeiten orientiert Sillman an traditionellen Formaten wie Landschaft und Porträt und an Begriffen wie der Abstraktion oder dem Cartoon, aber auch an der Faszination für die Formbildung während des Malprozesses, welche sie experimentell erkundet.
Die Begeisterung und Sorgfalt, mit der sie malt und über Malerei spricht und denkt, zeigt sich sowohl in ihren Texten und ihren vielen Lehraufträgen wie auch in ihrer Betrachtung von Kunst und in der Präsentation ihrer Werke. Seit vielen Jahren schreibt Sillman über Kunst – sowohl über ihre eigene als auch über historische Positionen. Ihre Referenzen sind so vielseitig wie ihre Arbeiten und umfassen Anekdoten aus ihrem Alltag oder kunsthistorische, oft an der Praxis und an der Form interessierte Abhandlungen.
Die Künstlerin lotet die Rollen von Figürlichem, Cartoonhaftem und Abstraktem aus, wobei sie stets die Frage beschäftigt, ob etwas Abstraktes Träger von Gefühlen sein kann und ob sich daraus sogar eine Sprache formt.
Bild: Amy Sillman, Harpie, 2023–2024, Acryl und Öl auf Leinen, 190,5 × 167,6 cm - Foto: David Regen, Privatsammlung, Courtesy of the artist
Dies zeigt sich etwa in den knapp 200 im Kunstmuseum Bern gezeigten Zeichnungen der Serie UGH for 2023 (Words / Torsos). Körper und Worte werden auf Linien und gutturale Buchstabenfolgen heruntergebrochen und so zur experimentellen Collage von wechselnden Gefühlszuständen. Neben- und übereinander an einer Wand präsentiert zeigen sich das Prozessartige genauso wie der Aufbau einer emotionalen Textur: Die Formen und Flächen gehen ineinander über, verdoppeln und verändern sich und erinnern in ihrer Abfolge an ein Storyboard oder ein Daumenkino.
Sillmans Beschäftigung mit der Malerei hört aber nicht mit dem Niederlegen des Pinsels auf. Sie schafft digitale Animationen, die, wie ihre malerischen Serien, die Entwicklung der abstrakten Formen dokumentieren, die Dynamik des gestalterischen Prozesses nachzeichnen sowie zugleich Gefühle erzeugen und oft komische Geschichten wiedergeben.
«Ich schneide immer, verunstalte, übermale, lösche, füge hinzu, kratze weg,
hole zurück, setze fort und kehre um. Das Digitale hat mir nur ein nützliches
Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem ich in der Zeit vor- und zurück
gehen kann […] nicht nur kumulativ vorwärts wie bei einer gemalten
Oberfläche.»
Amy Sillman
Gleichzeitig reagiert Sillman auf das Weltgeschehen, so in der Serie der Election Drawings: Strichfiguren, schwarz vor einem leeren weissen Hintergrund, liegen gekrümmt am Boden: mal kauernd, mal im Bett, mal übergeben sie sich. Die Kohlestriche sind robust, aber auch rabiat und vor allem wütend. Entstanden ist die Serie von 23 Graphitzeichnungen auf Papier 2016 nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Inspiriert von Protestschildern ging es Sillman um die Emotionen, die in einem solchen Moment sowohl zum Handeln aufrufen wie auch handlungsunfähig machen.
Oh, Clock!: Zur Ausstellung
Mit ausgewählten Werkgruppen der letzten fünfzehn Jahre wird das kraftvolle und andeutungsreiche Schaffen Amy Sillmans im Kunstmuseum Bern vorgestellt. Die Ausstellung umfasst drei Zeichnungsserien, die zwischen 70 und 400 Zeichnungen umfassen, rund 30 Gemälde und fünf Animationsfilme.
Die Ausstellung ist als grosse Installation von unterschiedlichen Werkformen, die sich mit dem Zeitaspekt auseinandersetzen, konzipiert. Zusammen mit der Künstlerin kuratiert, zeichnet sie sich durch gezielte Begegnungen zwischen dicht komponierten Gemälden und umfangreichen Zeichnungsserien, objekthaften Druckserien, Videoarbeiten mit poetischen Tonspuren, Wandmalerei, Animationen und installativen Eingriffen aus. Darunter die monumentale Arbeit Untitled (Frieze for Venice), welche Sillman für die Biennale in Venedig 2022 geschaffen hat.
Der besondere Fokus auf das Moment der Zeit in der Malerei ergibt sich aus der aufwändigen Arbeitsweise der Künstlerin: Sillman trägt stetig Farbe auf, zeichnet, malt, kratzt ab, wischt weg, übermalt, bis ein Werk den Punkt erreicht, an dem es etwas ausdrückt und sich Bedeutung herauskristallisiert.
Ihre Kunst strebt zu Film und Poesie, wobei sich die Zeit komprimieren oder ausweiten lässt. Zudem ist für Sillman Zeit auch im Raum greifbar, den sie dem Prozess der malerischen Bildfindung und der Entwicklung zeichnerischer Gesten zugesteht.
Hier wird ihre kritische Revision des Abstrakten Expressionismus verständlich als zeitgenössisches Ringen um das kommunikative Potenzial von abstrakter Malerei. Sie befreit sie von von den Herrschaftsansprüchen und Heldenfloskeln vergangener Generationen und erschliesst mit ihrer fragilen und lächerlichen Vergeblichkeit neue emotionale Terrains.
Sillmans Zuwendung zum Ungelenken und Plumpen eröffnet der Malerei eine neue Glaubwürdigkeit und Aktualität in Zeiten, in denen das Subjektive in der Kunst hybrid, fluid und prozessual artikuliert werden will.
Besonders wichtig ist Sillman zudem die Art der Präsentation ihrer Kunst. Die Ausstellung macht sichtbar, wie stark die Künstlerin im Raum und auf einen Raum bezogen arbeitet: Sie verändert die Architektur mit ungewohnten Displays, sie verunklärt die räumliche Struktur mittels Malerei und hinterfragt die Grenzen des Bildes. Durch die ungewöhnliche Präsentationsform ihrer Gemälde und Zeichnungen unterläuft die Künstlerin die Erwartungen an eine konventionelle Malereiausstellung und rückt den Entstehungsprozess in den Vordergrund.
Bild: Ausstellungsansicht Amy Sillman. Oh, Clock!, Sammlungshängung, Kunstmuseum Bern, 2024 - Foto: Dominique Uldry, © Kunstmuseum Bern
Amy Sillman × Kunstmuseum Bern
Als besonderes Extra bezieht Amy Sillman Werke aus der Sammlung des Kunstmuseum Bern in ihre Ausstellung ein und bringt ihre eigenen Werke damit in einen Dialog. Durch ihre Sichtweise hinterfragt sie so die etablierten Muster und Gewichtungen in der Kunstgeschichte. Sie lässt sich dabei nicht von Kategorien wie Kanon oder Historie einengen, sondern nutzt Narrative und Bildsprachen gekonnt, um einen neuen Blick auf Zusammenhänge vorzuschlagen: Sie gruppiert Werke nicht chronologisch oder thematisch, sondern nach Formen, Farben, Kompositionen oder ganz persönlichen Empfindungen. So hängt sie neben bekannten Gemälden von Augusto Giacometti auch kleinformatige Zeichnungen von Louise Bourgeois, die sie ihren eigenen Werken gegenüberstellt und mit künstlerischem Blick inszeniert.
Ausgestellte Künstler:innen aus der Sammlung des KunstmuseumS Bern
Adnan, Etel (1925–2021)
Altorfer, Esther (1936–1988)
Amiet, Cuno (1868–1961)
Arp, Hans (1886–1966)
Baer, Monika (*1964)
Bächli, Silvia (*1956)
Bailly, Alice (1872–1938)
Beckmann, Ericka (*1951)
Boltanski, Christian (1944–2921)
Bourgeois, Louise (1911–2010)
Churchman, Leidy (*1979)
de Niederhäusern, Auguste (1863–1913)
de Staël, Nicolas (1914–1955)
Dijkstra, Rineke (*1969)
Dorazio, Piero (1927–2005)
Eggenschwilder, Franz (1930–2000)
Eichwald, Michaela (*1967)
Fischli/Weiss (1979–2012)
Fisher, Joel (*1947)
Frecon, Suzan (*1941)
Fries, Pia (*1955)
Gerhard, Tatjana (*1974)
Giacometti, Augusto (1877–1947)
Hirschhorn, Thomas (*1957)
Kirchner, Ernst Ludwig (1880–1938)
Koether, Jutta (*1958)
Kollwitz, Käthe (1867–1945)
Kovachevich, Thomas (*1942)
Kubin, Alfred (1877–1959)
Krasner, Lee (1908–1984)
Lassnig, Maria (1919–2014)
Léger, Fernand (1881–1955)
Meyer-Amden, Otto (1885–1933)
Oppenheim, Meret (1913–1985)
Perret, Mai-Thu (*1976)
Polke, Sigmar (1941–2010)
Ray, Man (1890–1976)
Rosenkranz, Pamela (*1979)
Schubiger, Irene (*1948)
Seligmann, Kurt (1900–1962)
Taeuber-Arp, Sophie (1889–1943)
Valie Export (*1940)
van Dongen, Kees (1877–1968)
von Jawlensky, Alexej (1864–1941)
von Wulffen, Amelie (*1966)
West, Franz (1947–2012)
kmb
Kuratorin: Kathleen Bühler
Kontakt:
https://www.kunstmuseumbern.ch/de
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Bild: Amy Sillman. Oh, Clock!, Sammlungshängung, Kunstmuseum Bern, 2024 - Foto: Dominique Uldry, © Kunstmuseum Bern