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MOMENT (12): LEIPZIGER ALLERLEI

MOMENT (12): LEIPZIGER ALLERLEI

23.03.2010 Von Yvonne Volken


 LeipzigER ALLERLEI


Von Yvonne Volken

Leipzig ist eine Buchstadt. Hier wurde 1481 das erste Buch gedruckt, hier finden seit Jahrhunderten Buchmessen statt, hier steht die Deutsche Nationalbibliothek, hier kann man Schriftstellerei studieren, hier finden sich deutliche Spuren von Goethe und Schiller - und hier debütierte 1771 Sophie von La Roche mit dem ersten deutschen Frauenroman „Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" (dtv-Taschenbuch). Das Buch gehört zur Kategorie empfindsame Romane, sagt die Literaturwissenschaft. Fürwahr: „Die unerfahrene, elternlose Titelheldin versucht, sich dem ihr zugedachten Mätressenschicksal zu entziehen und flieht zu Lord Derby, einem gewissenlosen Intriganten und Verführer, dessen Absichten sie verkennt".

Die meisten Informationen dieses Kurzbeitrags zur Leipziger Buchmesse stammen aus dem Internet oder aus anderen Medien. Ein Text, der andere Texte absorbiert und transformiert. Alles abgeschrieben, also ein Plagiat - oder in seiner Montage das Ergebnis einer eigenen kreativen Leistung? Das war sozusagen auch die „Gretchenfrage", die über der Buchmesse, insbesondere aber über der Leipziger Buchpreisverleihung schwebte. Auslöserin war die junge Berliner Autorin Helene Hegemann und ihr Buch „Axolotl Roadkill" (Ullstein-Verlag).

Ist die Jury einem grossen Beschiss aufgesessen, als sie „Axolotl Roadkill" für den diesjährigen Buchpreis nominierte? Denn nach der Nominierung stellte sich heraus, dass H.H. für ihren Roman fremde Texte gebraucht hatte, ohne die Autorenschaft zu nennen. Und so durfte der prestigeträchtige Leipziger Buchpreis nicht an die 18-jährige Autorin Hegemann gehen, denn viele Fragen zur sogenannten „Intertextualität" blieben im konkreten Fall offen. Sofort geklärt werden kann jedoch die Frage, was denn ein Axolotl überhaupt ist. Wikipedia weiss, dass es sich um einen nachtaktiven mexikanischen Schwanzlurch handelt. Roadkill? Der Lurch wird überfahren - also Roadkill.

Das grosse Buchsterben hat noch nicht eingesetzt und das Interesse am Buch, diesem, im iPad-Zeitalter doch etwas vorgestrig anmutenden Medienprodukt mit den bedruckten Seiten zwischen zwei Kartondeckeln scheint ungebrochen. Zu Tausenden (insgesamt 156' 000 zählten die Messestatistiker) strömte das Publikum zur Buchmesse und umlagerte das Aufgebot an literarischen Grössen, das dieses Jahr nicht so beeindruckend war wie auch schon. Dafür war Lech Walesa da.

Am Stand der Verbundnetz Gas AG stand er, einen schwarzen Stift in der Hand, und setzte seine Unterschrift auf ein Stück Beton, ein Stück Mauer, genauer jene Mauer, die einst Ost und West teilte. Andere Männer haben ihre Unterschriften bereits früher deponiert: Gorbatschow, Kohl, Bush senior. Am Messe-Freitag nun also auch der ehemalige polnische Elektriker, der Streikführer aus Danzig und Held der friedlichen Revolution. Und er beeindruckte immer noch, auch die coolen Jungs des Gymnasiums von Radebeul. Zum Beispiel mit Sätzen wie diesem: „Machen Sie sich bitte keine Sorgen, weil heute schlechte Zeiten sind, denn auf solche folgen immer gute. Andersherum wäre die Sache viel problematischer."

„Es blutet und blutet. Und weil diese Kinder - da mitten in meinem Sommer - noch allesamt mit starken Augen geschlagen sind, (...) sieht der Ältere Bruder das Blut von der Ferse auf den Asphalt tropfen, als liefe ihm eine Wabe seiner Seele aus." So liest sich der Gewinner des Leipziger Buchpreises 2010, Kategorie Belletristik, Georg Klein. Sein prämiertes Buch „Roman unserer Kindheit" (Rowohlt-Verlag), das in die frühen sechziger Jahre führt, folgt einem der grossen Trends der Saison. Kindheit, Adoleszenz, Familie sind die Stichworte dazu.

Einen anderen Trend des Bücherfrühlings 2010 machte das Literaturmagazin der „Zeit" aus, den Trend zu Tagebüchern, bzw. zur Veröffentlichung von Tagebüchern. Demnächst werden die Journale von Martin Walser, Susan Sontag und Roland Barthes erscheinen. Eine besondere Kostbarkeit werden die „Entwürfe für ein drittes Tagebuch" von Max Frisch sein. Sie entstanden 1982/83 in New York und wurden jetzt wiederentdeckt. (Herausgeber Peter von Matt, Erscheinungsdatum 19. April, Suhrkamp-Verlag). Keine Wiederentdeckung eines allfälligen Tagebuchs wird es dagegen wohl bei Peter Stamm geben. Zwar hat der Schweizer Bestsellerautor tatsächlich einmal Tagebuch geschrieben, nämlich 1971 in den Sommerferien. Das Tagebuch endete, so bekennt Stamm, zwei Wochen später noch vor dem Ferienende mit dem Eintrag: „19. Juli. u.s.w.".

„Was Krisen anrichten, kann der Käse allein nicht wieder gut machen", gab der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV in seiner Einladung zum „etwas anderen Heimatabend" zu bedenken. Wie wahr, denn auch das literarisch-würzige Fondue, das der SBVV in einem Leipziger In-Lokal anrichtete, änderte nichts an den negativen Schlagzeilen. Ausgerechnet während der Buchmesse sorgte nämlich ein grosser Finanzskandal für Riesenwirbel in Leipzigs Politwelt. Involviert waren eine sehr grosse Schweizer Grossbank, ein Zürcher Finanzdienstleister und die Wasserwerke Leipzig. Das Geschäft hiess Cross-Border-Leasing und ist offenbar nicht zu empfehlen, denn es könnte die Wasserwerke Leipzig bis zu 290 Mio. Euro kosten.

Kennen Sie Cosplay? Das ist nicht etwa, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, ein spezieller Ostdeutscher Modetrend. Die jungen Menschen, denen man überall auf dem Messegelände begegnet und die alle irgendwie an Bill Kaulitz, Leader der deutschen Teenie-Kultband „Tokio Hotel" erinnern, sind Manga-Fans und „Cosplay" heisst ihr Hobby, nämlich sich wie Figuren aus Manga-Comics zu verkleiden. Für „Cosplay"-Fans aus ganz Europa ist die Leipziger Buchmesse zum wichtigsten Treffpunkt geworden. Elena aus Amsterdam erklärt die Passion so: „Mangas sind unser Leben. Eine perfekte, inszenierte Welt. In unseren Kostümen können wir sie in die Realität tragen, ein Teil von ihr sein."

Zum Schluss der Buchtipp von Frau Ute Nytz. Vorerst aber noch etwas zu ihren Lebensumständen. Frau Nytz ist seit 2005 Hartz IV-Empfängerin, also langzeit-arbeitslos. Die 43-jährige Schneiderin hat einen Ein-Euro-Job in der Premnitzer Bibliothek und sie wurde von der „Märkischen Allgemeinen" eingeladen, ein Buch zu rezensieren. Ihre Wahl fiel auf „Opus. Das verbotene Buch" von Franz Gössling (Boje-Verlag, als Hörbuch bei Bastei-Lübbe). Es ist ein historischer Roman, der in Süddeutschland spielt, zur Zeit der Hexenverbrennung. „Das Buch spricht den Zeitgeist an, alles infrage zu stellen und für Ideale einzutreten", begründet Ute Nytz ihre Wahl.


Yvonne Volken

Yvonne Volken arbeitet als Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der Stadtbibliothek Luzern. Yvonne Volken ist erfahrene Journalistin, sie war Mit-Realisatorin vieler Bücher-Sendungen auf Radio DRS 1 und ist in der Stadtbibliothek Luzern u.a. zuständig für die beliebten AutorInnen-Lesungen.

Kontakt:

yvonne.volken(at)bluewin.ch

   

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