DER GOLDENE BREMSKLOTZ 2016 GEHT NACH BELLINZONA
09.05.2017 Der Goldene Bremsklotz 2016 geht an das Bundesstrafgericht in Bellinzona. Das Gericht erhält den Schmähpreis für sein Urteil gegen einen RTS-Journalisten: Die Bundesstrafrichter bestraften ihn wegen Wahlfälschung. Dabei hatte er mit seiner Recherche eine Sicherheitslücke im Wahlsystem aufgedeckt.
Der Goldene Bremsklotz des Schweizer Recherche-Netzwerks "investigativ.ch" geht dieses Jahr an das Bundesstrafgericht Bellinzona: Das Gericht hat den RTS-Journalisten Joël Boissard wegen Wahlfälschung verurteilt. Dieser hatte mit seiner Recherche einen Sicherheitsmangel im elektronischen Stimm- und Wahlsystem aufgedeckt. "Das Bundesstrafgericht wirft Boissard vor, dass er skeptisch war und den Behörden nicht einfach glauben wollte", sagt "investigativ.ch"-Co-Präsident Dominique Strebel. Damit habe das Gericht den Schmähpreis des Recherche-Netzwerks redlich verdient.
Die Probe aufs Exempel gemacht
Boissard hatte im Frühling 2015 seine Abstimmungsunterlagen doppelt erhalten.
Er machte die Probe aufs Exempel - und konnte via Genfer E-Voting-System
zweimal abstimmen. Eine Sicherheitslücke, die Boissard sofort den Behörden
meldete und anschliessend in einem Beitrag thematisierte. Trotzdem verurteilte
das Bundesstrafgericht ihn wegen Wahlfälschung zu zwei Tagesssätzen à 200
Franken. Eine geringe Strafe. Aber aus Sicht von "investigativ.ch" ein völlig
falsches Signal.
Wahlen und Abstimmung sind zentrale Säulen unserer Demokratie. Es besteht ein
grosses öffentliches Interesse, Mängel und Schwachpunkte aufzudecken.
Im Zweifel gegen die Medienfreiheit
Das Bundesstrafgericht bezeichnete das doppelte Abstimmen in seinem Urteil als "unnötig" und "nicht sachdienlich" für die Recherche. Dieses Urteil aus Bellinzona ist leider kein Einzelfall: Staatsanwälte und Richter kennen selten Pardon, wenn Journalisten während der Recherche die Grenzen der Legalität ritzen.
"investigativ.ch" kritisiert schon lange, dass die Justiz in solchen Fällen praktisch immer gegen die Journalistinnen und Journalisten entscheidet. Selbst wenn der aufgedeckte Missstand gravierend und das öffentliche Interesse gross ist. Dabei könnten die Richter Journalisten in solchen Fällen wegen "Wahrung berechtigter Interessen" freisprechen, wie Co-Präsident und Jurist Dominique Strebel betont. Er unterstreicht: "Das öffentliche Interesse an Recherche muss in der Rechtsprechung mehr Gewicht bekommen."
Die Mitglieder haben entschieden
Das Recherche-Netzwerk "investigativ.ch" vergibt zum vierten Mal den Goldenen
Bremsklotz. Neben dem Bundesstrafgericht waren dieses Jahr auch das
Eidgenössische Personalamt und das Kantonsgericht Graubünden für den
Schmähpreis für Informationsverhinderung nominiert. Die Mitglieder von
"investigativ.ch" haben den Sieger mittels Online-Abstimmung ermittelt und sich
knapp für das Bundesstrafgericht ausgesprochen.
Die Preisverleihung findet im Rahmen des Jahrestreffens am 10. Mai 2017 in Zürich statt. Eingeladen ist auch die österreichische Investigativ-Journalistin Sahel Zarinfard. Sie arbeitet bei der gemeinnützigen Recherche-Plattform "dossier.at".
Jahrestreffen: Mittwoch 10. Mai 2017 bei Tamedia,
Werdstrasse 21, 8004 Zürich.
Statutarischer Teil um 18.15 Uhr, öffentliche Veranstaltung ab 18.45 Uhr.
Anmeldungen sind weiterhin möglich: kontakt@investigativ.ch
Quelle/Kontakt:
http://www.investigativ.ch/aktuell/detail/der-bremsklotz-geht-nach-bellinzona.html