16. Juli 2024
ART SAFIENTAL: «Was wäre, wenn? – Stimmen aus der Zukunft»
Noch bis am 20. Oktober 2024 lädt die Art Safiental Biennale bereits zum fünften Mal (seit 2016) zum freien Erwandern und Erleben zeitgenössischer Landschafts- und Umweltkunst ein. Für 2024 lautet das Motto «Was wäre, wenn? – Stimmen aus der Zukunft». 13 neue Produktionen von Kunstschaffenden aus der Schweiz und der Welt setzen sich kritisch mit möglichen Zukünften und unserer Welt im Umbruch auseinander. Die Freilicht-Ausstellung erstreckt sich über die ganze Gemeinde Safiental mit einem Fokus auf die vier Bergdörfer Versam, Tenna, Safien Platz und Thalkirch. Organisiert wird die Biennale vom Institute for Land and Environmental Art (ILEA) unter der Trägerschaft des Naturparks Beverin und der Gemeinde Safiental sowie in Kooperation mit Safiental Tourismus.

Bild: Credit: Christina Hemauer und Roman Keller, Solarballonflug 2016, Videostill
Zum Thema
«Was wäre, wenn?» ist mehr als nur eine rhetorische Frage. Sie kann uns dazu anregen, aktiv die Zukunft zu gestalten, anstatt nur auf sie zu reagieren. Sie lädt uns ein, mögliche Szenarien und Zukünfte zu denken und Wege zu finden, um eine zukunftsfähige und nachhaltige Welt aufzubauen.
Diese Qualität hat auch Kunst: sie kann Denkmuster aufbrechen, bietet Inspiration, Erkenntnis und einen Raum für Dialog und Veränderung.
Die diesjährige Biennale wird erstmalig durch vier Kurator:innen verantwortet: neben dem Gründer Johannes M. Hedinger sind dies die drei Co-Kuratorinnen Anne-Laure Franchette, Josiane Imhasly und Joanna Lesnierowska. Sie bringen frische Impulse, andere Perspektiven auf das Thema und neue Kunstpositionen ins Safiental. In ihrem kuratorischen Statement schreiben sie: «Die Frage nach dem ‚Was wäre, wenn?‘ ist auch eine gestaltende Kraft, getrieben von der Idee, dass Hoffnung ein Muskel ist (Björk), der beständig trainiert werden muss. Die Frage lädt dazu ein, der Gegenwart durch die Zukunft zu begegnen, indem wir uns Fragen in der Zeitform des Futur Zwei stellen (Harald Welzer): Was werden wir getan haben, und was werden wir nicht getan haben? Wie wollen wir in Erinnerung bleiben und wie können wir ‚gute Vorfahren und Vorfahrinnen‘ (Roman Krznaric) werden?«
Diese »Stimmen aus der Zukunft» sind keine Prophezeiungen, sondern spiegeln eine Welt im Umbruch zwischen Hoffnung und Schreckensvision, Transformation, Spekulation aber auch Zukunftslust. Es sind Ideen und Gedanken von visionären Menschen, die dazu aufrufen, unseren Verstand und unsere Kreativität einzusetzen, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu schaffen.

Bild: Huhtamaki Wab, Nomadic Frequencies, 2024
Allgemeine Informationen
Die 13 Kunstpositionen (11 Installationen und 2 einmalige Performances) sind über das Safiental verteilt, mit einem Fokus um die vier Dörfer Versam, Tenna, Safien Platz und Thalkirch. Die Installationen können unentgeltlich tagsüber besucht werden. Als Info-Zentrum der Ausstellung dient das Berghotel Alpenblick in Tenna. Dort wird auch eine von ILEA (Institute for Land and Environmental Art) organisierte Recherche-Ausstellung (What if? Fragen an die Zukunft) gezeigt.
Zur Ausstellung erscheint ein Ausstellungsführer mit Karte, welcher die genauen Standorte der Kunstwerke und Wissenswertes zur Ausstellung, den einzelnen Werken und dem Safiental vermittelt. In der zweiten Hälfte der Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog (ILEA Book 2) im Vexer Verlag St.Gallen/Berlin.

Bild: Stefanie Salzmann, Traumsammlerinnen, 2024
Zu den Kunstprojekten und Kunstschaffenden
Neben international arrivierten Kunstschaffenden sind auch vielversprechende regionale und nationale Nachwuchspositionen vertreten. Viele der Projekte sind transdisziplinär und haben prozessuale, partizipative oder forschende Elemente. Die temporären Werke und Interventionen verteilen sich auf vier im Tal verteilte Gebiete (Versam, Tenna, Safien Platz, Thalkirch) und werden komplettiert durch zwei Beiträge aus der Kunstresidenz und zwei Langzeitprojekte.
Versam:
Im Frühsommer machte sich der britisch-japanische Multimediakünstler Huhtamaki Wab zu Fuss aus seiner Heimat in Südengland auf ins Safiental. Seine Erfahrungen, Begegnungen und die Bilder, Materialien und Klänge, die er auf seiner Reise gesammelt hat, zeigt er als Gesamtinstallation in der Kunstgarage Versam.
Das Schweizer Künstlerduo Christina Hemauer und Roman Keller widmet sich der Tatsache, dass in der Schweiz praktisch alle an Wegweisern angeschriebenen m.ü.M.-Höhenangaben zu tief sind. Das kommt einerseits daher, dass die Alpen stärker wachsen, als sie abgetragen werden, anderseits hebt sich der Meeresspiegel wegen der Klimaerwärmung stetig. In Zusammenarbeit mit Swisstopo und dem Astronomischen Institut der Universität Bern entwickeln sie eine Messanordnung, die an vier Stellen im Safiental nun die auf einen Zentimeter genaue Höhe anzeigt.
Tenna:
Im Berghotel Alpenblick, das auch das ILEA (Institute for Land and Environmental Art) mit seiner Künstler-Residenz und Galerie beherbergt, finden wir die partizipatorische Kunstpraxis der mexikanischen Künstlerin Paloma Ayala, die einen Ofen, diverse Objekte und Events entwickelt, die auf Essensgeschichten und Begegnungen mit Einheimischen aus Tenna basieren.
Die auf Klimathemen spezialisierte, international bekannte Künstlerin Monica Ursina Jaeger widmet sich in ihrem Video «Transient Traveller» den Fichtenwäldern und was diese uns über Zeit, Transformation, Anpassung und Resilienz lehren können.
Beim Wasserfall feiert der Brasilianer Ernesto Neto zu Beginn der Biennale mit Musik und Tanz eine rituelle Erdbestattung eines seiner Werke. Damit thematisiert er, dass alles, was wir produzieren und konsumieren aus der Erde kommt und nun für immer seinen Platz im Boden des Tales findet. Darauf werden Büsche und Bäumchen gepflanzt, die über die Biennale hinaus die Stelle markieren. Eine Dokumentation der Performances wird auf der Biennale-Website aufgeschaltet.
Auf dem Tenner Chrüz findet sich nicht nur eine weitere Höhenangabe von Hemauer/Keller, sondern auch die Skulptur des brasilianischen Performance-Duos Quarto. Wer die zugehörige einmalige Performance an der Vernissage verpasst hat, findet die Videodokumentation in einem Stall auf dem Weg zurück ins Dorf. Dort kann man auch Bändchen für seine Wünsche an die Zukunft mit nach Hause zu nehmen.
Safien Platz:
Die Werke in Safien beziehen sich alle auf das örtliche Kraftwerk, die Wasserenergie und Wasser allgemein. Die niederländische Künstlerin Vibeke Mascini kollaboriert seit ihrer Teilnahme an der Alps Art Academy 2018 mit dem Wasserkraftwerk, in dessen Seitenstollen sie eine neue Videoarbeit präsentiert.
Die Westschweizerin Magali Dougoud erzählt in ihrem feministischen Klangstück von Wasserwesen, die gegen etablierte Machtverhältnisse aufbegehren und klagt damit die Ausbeutung von Wasserressourcen an. Betrieben wird die Hörstation von einer ans Restwasser angehängten Turbine. Am 20. Juli lässt sich vor Ort eine Live-Aufführung des Stückes erleben.
Am selben Tag findet auch die einmalig gezeigte Tanzperformance der polnischen Choreographin Ola Maciejewska in der Turbinenhalle des Kraftwerks Zervreila statt. Die Tänzerin interagiert dabei mit einer Eisskulptur in Form eines menschlichen Schulterblattes. Das dahinschmelzende Objekt regt einerseits zum Nachdenken über die schmelzenden Gletscher an, andererseits erinnert es daran, dass der menschliche Körper selbst zu über 80% aus Wasser besteht. Eine Dokumentation der Performance wird anschliessend auf der Biennale-Website aufgeschaltet.
Thalkirch:
Der Beitrag des indischen Künstlers Ravi Agarwal und der chilenischen Glaziologin Paulina Lopez befasst sich mit der Kulturgeschichte der Gletscher, von welchen am Ende des Safientals, unter einem riesigen Schuttkegel beim Wasserfall, noch ein kleiner Rest existiert. Ihr Videoessay versucht, die Geschichte von Eis und Gletschern zu entkolonialisieren und wird durch eine Forschungs- und Materialsammlung ergänzt.
Im Bawald begegnet man an Bäumen hängenden gefilzten Gefässen der Walliser Künstlerin Stefanie Salzmann. Diese sollen metaphorisch die Träume und Zukunftsvisionen der Besuchenden sammeln und zur Reflexion über Konsumverhalten und den Umgang mit natürlichen Ressourcen anregen.
Die gebogenen Bauprofile des jungen Bündner Künstlers Andrea Todisco irritieren und lassen die Betrachtenden rätseln, ob an dieser Stelle wirklich ein Gebäude in dieser ungewöhnlichen Form gebaut wird. Ein spekulatives Denkspiel: Was wäre, wenn?

Bild: Andrea Todisco, Baugerüste, 2024
Valendas:
Die Performance «Under my Gaze» der Australierin Renae Shadler wird im Rahmen des Dorffestes Valendas vom 15. September einmalig in der Naturarena Altaun gezeigt. Anschliessend kann das Publikum in einem Workshop selbst mit den durch Sonnenenergie gesteuerten Schwebeskulpturen «Aeroscene» interagieren. Eine Dokumentation der Performances wird danach auf der Biennale-Website aufgeschaltet.
Kunst-Residenz:
Auch diesen Sommer können im Berghotel Alpenblick zwei durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia finanzierte Stipendiaten begrüsst werden. Es sind dies die beiden indischen Kunstschaffenden Farah Mulla und Sujit Mallik, die je einen Monat in Tenna forschen und in einer vor Ort noch zu bestimmenden Form ebenfalls auf das Ausstellungsthema reagieren.

Bild: Renae Shadler, Under my Gaze, 2022-24
Langzeitprojekte:
Ein Wiedersehen gibt es mit zwei langjährigen Forschungsprojekten:
• Das seit 2019 laufende Oral History-Projekt «Safientaler Gespräche» von Dominik Landwehr ist nicht nur online erreichbar, sondern wird dieses Jahr auch in der Innenausstellung im Berghotel Alpenblick sichtbar werden. https://talks.ilea.art/
• Das seit 2021 laufende ökoakustische Wald- und Bodenbeobachtungsprojekt ACLA von Marcus Maeder wurde jüngst um ein zweites Testfeld und zwei Treenetstation der WSL erweitert. Das Observatorium im Aclatobel ist auch diesen Sommer wieder besuchbar.
https://aclasoundscape.ch/
Besuch und Vermittlung
Die installativen Werke der Art Safiental 2024 sind täglich besuchbar und durch Wanderwege erschlossen. Zu praktisch allen Standorten kann man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, respektive in die Nähe gelangen. Die meisten Werke bedürfen zwischen 5 Minuten und 1 Stunde Marschzeit. Pro Tag ist der Besuch von zwei Schwerpunkten/Dörfern machbar.
Wer alle Werke der Biennale besuchen möchte, sollte zwei bis drei Tage einplanen, um genügend Zeit fürs Tal und seine Schönheit zu haben.
Im Berghotel Alpenblick in Tenna findet man weitere Informationen zur Biennale, den ausstellenden Kunstschaffenden und den anderen Projekten von ILEA.
Informationstafeln vor Ort bei den Werken und in den vier Schwerpunkt-Dörfern helfen ebenfalls bei der Vermittlung, wie auch die weiterführenden Angaben auf der Website www.artsafiental.ch

Bild: Farah Mulla, Synthetic Harvest, 2024
Beteiligte
Kurator:innen Art Safiental Biennale 2024
• Anne-Laure Franchette
• Johannes M. Hedinger
• Josiane Imhasly
• Joanna Lesnierowska
Künstler:innen Art Safiental Biennale 2024
• Ravi Agarwal & Paulina Lopez (IN, CL)
• Paloma Ayala (MX/CH)
• Magali Dougoud (CH)
• Hemauer/Keller (CH)
• Monica Ursina Jaeger (CH)
• Vibeke Mascini (NL)
• Ernesto Neto (BR)
• Ola Maciejewska (PL)
• Quarto (BR/SE)
• Stefanie Salzmann (CH)
• Renae Shadler & Team (AUS/DE)
• Andrea Francesco Todisco (CH)
• Huhtamaki Wab (JP/UK)
Kunst-Residenz
• Farah Mulla (IN)
• Sujit Mallik (IN)
Permanente Projekte
- Safientaler Gespräche (Dominik Landwehr)
- ACLA (Marcus Maeder)
bas
Mehr:
https://artsafiental.ch/wp-content/uploads/2024/06/AS24-Faltkarte-final-komprimiert.pdf
Kontakt:
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Bild: Marcus Maeder, ACLA, 2022-24
Kommentare von Daniel Leutenegger